Rezension
Rezension: Imagine Economy. Neoliberale Metaphern im wirtschaftspolitischen Diskurs
10. Oktober 2012 | Sebastian Friedrich
Deutschland wurde zwar nicht Europameister, feiert aber seit Jahren "Exportweltmeisterschaften" oder zumindest den Vize-Titel, "Rettungsschirme" sollen aufgespannt und "Schuldenbremsen" eingerichtet werden. Allseits herrscht Angst vor "Steuerlawinen" und einem "Reformstau am Arbeitsmarkt" und Ablehnung von Menschen in der "sozialen Hängematte" mit "Vollkasko-Mentalität". Was haben die genannten Begriffe und Sprachbilder miteinander zu tun? Sie sind allesamt gängige Metaphern, durch die bestimmtes Wissen vermittelt wird.
Sprache und Wirklichkeit
Wissen ist es, das für Menschen Angebote zur Deutung von Wirklichkeit bereit stellt. Getragen wird dieses zeitlich und örtlich abhängige Wissen über Diskurse, die zur Strukturierung von Machtverhältnissen in einer Gesellschaft beitragen. Mit Michel Foucault können Diskurse als Macht-/Wissen-Komplexe verstanden werden, die nicht nur Abbild einer vorhandenen Wirklichkeit sind, sondern diese auch schaffen, indem sie Blickweisen auf die Welt strukturieren. Eine Möglichkeit dieser Strukturierung bilden Metaphern und Sprachbilder. In verschiedenen Weisen wurde sich in der Vergangenheit mit der Rolle der Sprache in Unterdrückungsverhältnissen befasst. Victor Klemperer befasste sich etwa in seiner „Lingua Tertii Imperii“ mit der Sprache im Nationalsozialismus. Relativ umfassend ist im deutschsprachigen Raum in jüngster Zeit auf den Zusammenhang von Sprache und Rassismus hingewiesen worden. So erschien letztes Jahr das Buch „Wie Rassismus aus Wörtern spricht: Kerben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk“, das von Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard herausgegeben wurde. Der Band zeigt auf, wie durch rassistische Begriffe Rassismus reproduziert wird und führt zugleich alternative Begriffe aufs Deutungsfeld.
Im Bereich der Wirtschaftspolitik beziehungsweise bei der Untersuchung des Zusammenhangs von Sprache und Neoliberalismus lassen sich die Publikationen an wenigen Händen abzählen. Ein gerade beim Löcker-Verlag erschienenes Buch versucht diese Lücke zu füllen: Der vom Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen (BEIGEWUM) herausgegebene Sammelband "imagine economy" nimmt in 13 kurzen Aufsätzen neoliberale Metaphern im wirtschaftspolitischen Diskurs in den Blick – und versucht durch mehr als ein Dutzend Abbildungen alternative Bildlichkeiten zu schaffen. Beat Weber stellt in der Einleitung die Bezugstheorien vor und betont die Macht von Metaphern. Metaphern vereinten Vernunft und Fantasie und würden somit – bewusst oder unbewusst für die Rezipient_innen – Ordnungssysteme transportieren. Metaphern seien daher nicht nur Abbild, sondern auch selbst mächtig, in dem sie Einzelnes näher beleuchten und Anderes eher ausblenden. „Sie verleihen Dingen eine neue Bedeutung und können die Wirklichkeit verändern, wenn Menschen im Sinne der von der Metapher verliehenen Bedeutung handeln.“ (S. 12)
Die Aufsätze sind mehrheitlich von sehr guter Qualität und können durchaus als Einleitung in wirtschaftspolitische Fragen dienen. Etwa der Beitrag zu der Metapher von der „harten und der weichen Währung“. Elisabeth Springler stellt darin klar, dass ein hoher Wechselkurs nicht automatisch zu einer hohen Kaufkraft führt, etwa bei Volkwirtschaften mit geringem Außenhandelsanteil. Außerdem sei entgegen herrschender Deutungen Inflation keineswegs jederzeit verdammenswert: So würden die Umverteilungswirkungen zwischen Gläubigern und Schuldner_innen durch leichte Inflation übersehen. Insgesamt, so Springler, werde im wirtschaftspolitischen Diskurs der „harten Währung“ ein zu hoher Stellenwert eingeräumt.
Natürliches Kapital
Eine Stärke besteht darin, dass in den meisten Beiträgen nicht nur die hinter den Metaphern liegenden Aussagen offenbart werden, sondern zugleich die Funktionen der Metaphern deutlich herausgearbeitet werden und ihnen zugleich inhaltlich etwas entgegnet wird. Beispielsweise zeigt Katharina Muhr auf, wie bei dem Bild vom Kapital als „scheues Reh“ das Kapital als armes zu schützendes Wesen erscheint und somit Forderungen etwa an Unternehmen delegitimiert werden. Flankiert wird das Bild durch die gedeuteten Befürchtungen, Firmen könnten die angestammten Standorte verlassen, weshalb sie häufig nur geringe Beträge an Steuern zahlen müssen. Muhr zeigt, dass das Kapital gar nicht so scheu – und Reh nicht gleich Reh – ist. Man müsse unterscheiden zwischen verschiedenen Formen des Kapitals: Immobilien beispielsweise könnten schlecht von heute auf morgen flüchten, ähnliches gilt für Unternehmen. Der Aussicht auf geringere Steuern an einem anderen Standort stehen zahlreiche Faktoren gegenüber, die trotz höherer Steuern für die Attraktivität des aktuellen Standorts stehen.
Ähnlich wie beim Kapital als Reh wird auch in anderen Metaphern das soziale Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit direkt oder indirekt naturalisiert. Es verbirgt sich etwa hinter dem Begriff vom Rettungsschirm abermals ein naturalisierendes Bild, wie Anita Roitner in ihrem Beitrag meint. Die Finanzkrise, vor der Staaten und Banken geschützt werden müssen, wird mit einem Unwetter verglichen, das bekanntlich in erster Linie nicht menschengemacht sei. Körperlich wird’s beim Begriff vom „schlanken Staat“, der die Forderung nach „mehr Markt und weniger Staat“ impliziert. „Der“ Staat wird als „zu dick“ wahrgenommen. Oliver Prausmüller kritisiert dieses Bild aus dreierlei Hinsicht. Erstens laufen Natur-Analogien Gefahr, notwendige politische Auseinandersetzungen auszublenden und zugleich das Idealbild von Menschenkörpern als schlank und fit zu stützen. Zweitens werden verteilungspolitische Fragen durch die Metapher ausgeblendet. Kosten für die Bevölkerung steigen parallel zur Verschlankung des Staates, das heißt zum geringeren Aufwand auf der Ausgabenseite des Staates, was insbesondere aus geschlechterkritischer Perspektive problematisch ist. Durch die Verschiebung von bezahlter Arbeit hin zu privater, informeller Arbeit, die zumeist Frauen leisten, sind es vor allem Männer, die von einem schlanken Staat profitieren. Drittens führen Liberalisierungen und Privatisierungen keineswegs automatisch zu Bürokratieabbau, vielmehr ist anstatt von einem Abbau des Sozialstaates von einem Umbau zu sprechen. Insgesamt trägt die Rede vom schlanken Staat laut Prausmüller bei „zur Vertuschung gesellschaftlicher Machtverschiebungen und zur Verschärfung gesellschaftlicher Ungleichheiten bei“ (S. 104).
Leistungsträger und Exportweltmeisterschaften
Ähnliche Verzerrungen prägen den Begriff der „Leistungsträger“, dem sich Armin Puller zuwendet. Der Begriff beinhaltet die Vorstellungen, Leistungsträger seien Motor der Gesellschaft und es gebe eine Gruppe, die den „Leistungsträgern“ gegenüber stehe: die Unproduktiven. Puller weist auf die die Arbeiten des Philosophen Peter Sloterdijk hin, der im Sommer 2009 durch einen Aufsatz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) eine Debatte auslöste. Diese Debatte kann als feuilletonistischer Vorläufer der späteren „Sarrazindebatte“ gedeutet werden. Sloterdijk sorgt sich kurz gesagt um die Leistungsträger, die heute die wahren Ausgebeuteten seien, weil sie so viele Steuern zahlen müssten. Sloterdijks Leistungsträgerschrumpfungsängste ignoriere aber die Struktur der Steuereinnahmen. Diejenigen, die keine Einkommenssteuer zahlen, würden ein hohes Maß an indirekten Steuern zahlen und außerdem sei die Abgabenlast auf diejenigen mit vergleichsweise geringem und mittlerem Einkommen ungleich höher, dagegen stehe eine niedrige Belastung von Vermögen und Erbschaften. In aller Deutlichkeit stellt Puller die Verbindungen zwischen Sloterdijk und Sarrazin dar:
„Sloterdijk und Sarrazin ist gemein, dass sie in der Diktion revolutionärer Umwälzung von Werten wie Gleichheit und Freiheit Gebrauch machen, ohne dabei ihr Lob sozialer Ungleichheit zu verbergen. Das Projekt, das sie verfolgen, ist die Gleichheit des Bürgertums in Abgrenzung nach unten und die Freiheit, ohne Beschränkungen und ohne schlechtes Gewissen die nichtbürgerlichen „Unterschichten“ (inkl. MigrantInnen) auszuschließen und deren (zumeist nicht selbst gewählte) Lebensweisen diffamieren zu können.“ (S. 74)
Eine ähnliche Funktion weist der Begriff „Exportweltmeister“ auf, der von Hans Asenbaum untersucht wird. Gemäß dem Trugschluss „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“ wird die Vorstellung gestärkt, Exporte kämen dem Allgemeinwohl zugute. Das ist mitnichten der Fall: Die Exportweltmeisterschaft geht auf Kosten von Millionen Arbeiter_innen, die im Niedriglohnsektor beschäftigt sind und somit erst die günstigen Preise für die Exporte ermöglichen. „Die wirkmächtige Metapher vom ‚Exportweltmeister‘ dient also im Wesentlichen dazu, Politik im Interesse einer Minderheit als gemeinwohlorientiert und damit als für die Mehrheit erstrebenswert erscheinen zu lassen.“ (S. 33) In dem ebenfalls zu empfehlenden Beitrag von Philipp Poyntner und Daniel Siegrist zur Metapher vom „Reformstau am Arbeitsmarkt“ werden Zahlen zur Arbeitsmarktliberalisierung in Deutschland präsentiert, die aufzeigen, auf was sich die gefeierten Exportweltmeisterschaften Deutschlands gründen. Die Reformen führten in erster Linie zu einer Prekarisierung des Arbeitsmarktes. Zwischen 1997 und 2007 sind die Normalarbeitsverhältnisse um 1,5 Millionen gesunken, während im gleichen Zeitraum atypische Beschäftigungsformen um 2,6 Millionen gestiegen sind – atypische Beschäftigungsformen beinhalten vor allem den Teilzeitbereich, die Leih- und Zeitarbeit sowie befristete und geringfügige Beschäftigungen. Auch sanken die Löhne im Vergleich zum Wirtschafts- und Produktivitätswachstum zwischen 2000 und 2010 deutlich. Fazit der Autor_innen zu den Arbeitsmarktliberalisierungen: „Die Liberalisierung war also ‚erfolgreich‘ beim Drücken der Löhne. Eine Erhöhung der Beschäftigungsmöglichkeiten erzielte sie nicht.“ (S. 84) Nicht nur in Deutschland sind die Menschen von der bundesdeutschen Politik negativ betroffen. Durch die Lohndrückerpolitik wurden andere Volkswirtschaften massiv unter Druck gesetzt. Die Ergebnisse können gegenwärtig unter anderem in Griechenland und Spanien beobachtet werden.
Leerstellen
Die meisten der Beiträge sind von bemerkenswerter Qualität. Zu schwach belichtet sind allerdings die Metaphern, die die am meisten vom neoliberalen Umbau betroffenen Menschen adressieren; Begriffe, wie der der „Unterschicht“ oder des „Unterschichtenfernsehens“. Lediglich zwei Beiträge gehen auf solche Begriffe näher ein, zählen aber leider zu den schwächeren Texten des Bandes. So verharrt Katharina Meichenitsch in ihrem Beitrag zum Begriff der „sozialen Hängematte“ auf einer oberflächlichen Ebene, da sie nicht auf die Funktion der Metapher eingeht. Zuweilen reproduziert sie hegemoniale Sichtweisen, wenn sie etwa meint: „Eine Gesellschaft zeigt ihr Antlitz im Umgang mit ihren schwächsten Mitgliedern: Menschen mit Behinderungen, Menschen, die in Armut leben, Spielsüchtigen, Menschen mit Migrationshintergrund.“ (S. 120) Wünschenswert wäre es gewesen, die Autorin hätte verdeutlicht, dass diese und andere bezeichneten Gruppen zu Schwachen gemacht werden und nicht die Deutung weiterträgt, dass sie schwach sind. Auch der Beitrag von Alban Knecht und Michaela Neumayr zum Begriff der „Vollkasko-Mentalität“ vermag nicht zu überzeugen, da sich eher in umständlicher Weise mit der Klärung der Begriffe „Vollkasko“ und „Mentalität“ gewidmet wird, anstatt den inhaltlichen und funktionalen Gehalt zu schärfen. Zu kritisieren ist außerdem, dass nur selten Verknüpfungen zu Unterdrückungsformen hergestellt werden. Dabei sind auch andere Unterdrückungsformen mitzudenken, denn zum Beispiel Rassismus und Sexismus arbeiten als soziale Verhältnisse auch fleißig bei der Aufrechterhaltung bestehender Ressourcenverteilung mit. Und noch ein Satz zu den bildlichen Darstellungen im Buch: Während es den Aufsätzen insgesamt gelingt, herrschenden Metaphern zu widersprechen, ist die Sprache der Bilder eine, die – zumindest mir – nicht zugänglich ist: Ich verstehe die Karikaturen und Grafiken schlicht nicht.
Die angeführten Kritikpunkte sollen das Verdienst von „Imagine Economy“ jedoch nicht schmälern. Das Buch dekonstruiert im besten Sinne des Wortes die gegenwärtige wirtschaftspolitische Sprache und bleibt dabei nicht auf eine bloße sprachliche Ebene beschränkt, sondern zeigt im selben Atemzug die politischen Funktionen auf. Die Beiträge können dazu dienen, das weitestgehende Schweigen von Teilen der Linken in wirtschaftspolitischen Fragen zu durchbrechen.
Bibliografische Angaben
BEIGEWUM (Hg.): imagine economy. Neoliberale Metaphern im wirtschaftspolitischen Diskurs. Löcker-Verlag, Wien 2012. ISBN 978-3854096146. 180 Seiten, 14,80 Euro.
Dieser Text erschien zuerst in kritisch-lesen.de Ausgabe 20. Ich danke für die Genehmigung zur Übernahme des Textes.
Sebastian Friedrich ist Journalist und Publizist aus Hamburg. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Sozialstaatsdiskurse, Neue Rechte, AfD, Kritische Soziale Arbeit, Diskursanalyse sowie Klassenanalyse. Als @formelfriedrich twittert er regelmäßig. Seine Homepage: sebastian-friedrich.net.