Rezension
Rezension: Lexikon der Leistungsgesellschaft
23. Februar 2017 | Patrick Schreiner
Der Neoliberalismus ist ein Übel, das längst unseren Alltag durchdrungen hat. Doch kann (und sollte?) man sich ihm trotz allem auch mit Humor widmen, zeigt Sebastian Friedrich mit seinem kleinen „Lexikon der Leistungsgesellschaft“.
Neoliberalismus – da denken die meisten Menschen (so sie den Begriff überhaupt kennen) wohl eher an Lohnkürzungen in Griechenland oder an den Sozialabbau durch „Agenda 2010“ und „Hartz IV“. Und das völlig zu Recht. Doch wäre es verkürzt, unser Nachdenken über den Neoliberalismus auf solche großen sozial- und wirtschaftspolitischen Themen zu beschränken. Neoliberalismus ist mehr als das – er ist längst zu einer Art Lebensweise geworden, der sich niemand entziehen kann.
In seinem „Lexikon der Leistungsgesellschaft“ widmet sich Friedrich in 26 Kapiteln von A bis Z (also in einem Kapitel je Buchstaben) scheinbar unpolitischen, oft banalen Dingen unseres neoliberalen Alltags. Erstmals waren die meisten dieser Texte seit 2013 in einer Kolumne der Monatszeitung „analyse & kritik“ erschienen. Das Spektrum ihrer Themen reicht von „Auslandsaufenthalt“ und „coffee to go“ über „Gewaltfreie Kommunikation“, „Liebe“ und „Marathon“ bis zu „Rennrad“ und „Zeitnot“. In kurzen, gut lesbaren und meist humorvollen Ausführungen nimmt Friedrich manches aufs Korn, was uns lieb und selbstverständlich geworden ist. Er zeigt, wie politisch noch das scheinbar Unpolitischste eigentlich ist. Und er schreibt dabei durchaus selbstkritisch – denn nicht nur selbstverliebte Business-Helden und brave Cocooning-Geneigte, sondern auch junge Akademikerinnen, Veganer und Linke bekommen ihr Fett weg. Und das nicht zu knapp.
Es gibt einige rote Fäden, die sich durch das Buch ziehen. Der Neoliberalismus verlangt und bringt Unverbindlichkeit und Flexibilität, wie Friedrich am Beispiel des „coffee to go“, der „Ironie“, der „Liebe“ und des „Jein“ zeigt. Zum neoliberalen Zeitalter gehört eine hedonistische und zugleich narzisstische Selbstverwirklichung, wie etwa die Kapitel „Flow“, „Quantified Self“, „Thermomix“ und „Y.O.L.O.“ beschreiben. Und auch das subtile, bisweilen ironische Treten nach unten darf nicht fehlen – Stichwort „Unterschicht“ und „White Trash Party“. So vielfältig die Themen ausfallen, so einförmig sind doch die dahinterstehenden neoliberalen Denk- und Verhaltensweisen.
Friedrich spürt diesem Neoliberalismus in unserem Alltag mit einem Schmunzeln nach. Das ist unterhaltsam und macht die Lektüre zum Vergnügen. Man würde sich mehr davon wünschen. Zumal der Erkenntnisgewinn aus seinen gerade mal 90 Seiten (davon einige Fotos) weitaus höher ist als aus mancher ach so wissenschaftlich geschriebenen 400-Seiten-Doktorarbeit zu diesem oder jenem Aspekt des Neoliberalismus.
Übrigens: Auch wer die Chance hat, Friedrich bei einer seiner zahlreichen Lesungen aus dem „Lexikon der Leistungsgesellschaft“ zu erleben, sollte sich dies nicht entgehen lassen.
Bibliografische Angaben
Sebastian Friedrich: Lexikon der Leistungsgesellschaft. Wie der Neoliberalismus unseren Alltag prägt. Mit Fotos von Johanna Bröse und einem Vorwort von Oliver Nachtwey. Münster: edition assemblage 2016. 90 Seiten, 7,80 Euro, ISBN 978-3-96042-001-9.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.