Rezension
Rezension: Ökonomie und Gesellschaft
29. April 2016 | Lea Karrasch
Bekannt geworden ist der Sammelband „Ökonomie und Gesellschaft“ der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB), durch sein vorläufiges Vertriebsverbot im Jahr 2015. Dies führte zu teils heftigen Protesten – etwa seitens des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Formal hat das Bundesministerium des Innern (BMI) die Fachaufsicht über die BpB, und so war es Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), der den Band aus dem Verkehr zog.
Hintergrund dafür war eine Initiative der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), die in einigen Kapiteln eine zu negative Darstellung von Unternehmen zu erkennen glaubte und „einseitige Propaganda gegen die Wirtschaft“ witterte. Das BMI begründete daraufhin das Vertriebsverbot mit dem Verstoß gegen den Beutelsbacher Konsens (das so genannte Überwältigungsverbot). Mittlerweile hat der Wissenschaftliche Beirat der Bundeszentrale diesen Vorwurf widerlegt – der Sammelband ist seit einiger Zeit wieder erhältlich.
Der Band nimmt für sich in Anspruch, an ausgewählten Beispielen „das Wechselverhältnis von Ökonomie und Gesellschaft“ darzustellen und „berücksichtigt hierbei gezielt auch alternative ökonomische Paradigmen zum derzeit in Wirtschaft und Politik dominierenden Handlungsmodell des homo oeconomicus“. Der Band richtet sich explizit sowohl an Lehrende als auch an „Lernende“. Unter den AutorInnen, die überwiegend aus der Wissenschaftsdidaktik kommen, finden sich unter anderem auch Tim Engartner (Universität Frankfurt), Reinhold Hedtke (Universität Bielefeld) und Bettina Zurstrassen (Universität Bielefeld). Letztere hatte auch die wissenschaftliche Gesamtleitung inne.
Insbesondere mit Blick auf auf die Finanz- und Wirtschaftskrise(n) der vergangenen Jahre reflektieren die AutorInnen die Deutungshoheit der Ökonomie. Sie hinterfragen, ob und inwieweit Wirtschaftswissenschaften überhaupt in der Lage sind, die sozialen Hintergründe der ökonomischen und finanzpolitischen Entwicklung adäquat zu erfassen und zu erklären. Dabei zeigt der Sammelband auch, dass ökonomische Prinzipien in immer mehr Lebensbereiche eindringen und zu einem immer stärkeren Selbstoptimierungsprozess des einzelnen Menschen führen.
In zwölf Bausteinen greift die Publikation ein breites Spektrum an sozio-ökonomischen Themenfeldern auf. Es umfasst Aspekte wie die „Krise der Wirtschaftslehre“, die „Herausforderungen des sozialen Ausgleichs in der Wirtschaftsordnung“ und die „EU – die politische Wirtschaftsunion“. Jeder Baustein beinhaltet zudem Lernmaterialien und Arbeitsvorschläge für Lehrende. Die einzelnen Kapitel sind durch Karikaturen, Schaubilder und Tabellen aufgelockert und gut veranschaulicht. Zusätzlich zu dem Sammelband beinhalten die Materialien noch eine CD, auf der neben einem Theaterstück („Himbeerreich – Hinter den Kulissen der Finanzbranche“) auch der halbstündige Dokumentarfilm „Too BIG to tell – Recherchen in der Finanzwelt“ (von Johanne Tschautscher) zu finden ist.
Der Band veranschaulicht überzeugend und gut verständlich die Auswirkungen der Ökonomisierung auf Gesellschaft, Demokratie und die eigene Selbstbestimmtheit der Menschen. Damit bietet dieses Lehr- und Lernmaterial einen guten Anstoß für Diskussionen in Schulen über das Wirtschaftssystem und über mögliche wirtschaftspolitische Alternativen.
Bibliographische Angaben:
Zwölf Bausteine für die schulische und außerschulische politische Bildung. bpb Themen und Materialien. Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 2014.
Lea Karrasch ist beim DGB Bezirk Niedersachsen - Bremen - Sachsen-Anhalt für Bildungspolitik und den öffentlichen Dienst zuständig.