Die Verfasser_innen verstehen ihre Studie als Momentaufnahme. Beobachtungen und Gespräche mit den Teilnehmenden der Pegida-Märsche wie auch der Gegendemonstrationen im Herbst und Winter 2014/2015 wurden durch breit angelegte Online-Fragebögen und mehrstündige Gruppendiskussionen ergänzt. Zudem wurden zahllose Zeitungsartikel, Online-Ressourcen, Facebook-Beiträge und andere Social Media Auftritte von den Forscher_innen durchforstet und ergeben so eine aufschlussreiche Lektüre, welche Einblicke in die eng miteinander verwobene rechte bis neonazistische Bewegung in Deutschland ermöglicht. Der Entstehungsgeschichte ist ein umfangreiches erstes Kapitel gewidmet, weitere Kapitel behandeln Beobachtungen der Spaziergänge, die Darstellung der kollektiven Wahrnehmung der von den Autor_innen „Pegidisten“ (S. 33) genannten Sympathisant_innen, Bemerkungen zum Verhältnis von AfD und Pegida, eine europäischen Einbettung sowie den Versuch, das Ganze politisch und (sozial-)wissenschaftlich in einen Kontext zu setzen.
Die Ursuppe von Pegida
Absurderweise waren es gerade die Solidaritätskundgebungen mit der kurdischen Stadt Kobanî, in der sich insbesondere Kämpfer_innen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) erbittert gegen den „Islamischen Staat“ zur Wehr setzen, sowie die Kritik an den Waffenlieferungen an die Kriegstreiber in Syrien und dem Irak, welche den Pegida-Gründerkreis dazu bewogen, gegen die angebliche Islamisierung Europas auf die Straße zu gehen und sich als Aktionsbündnis zu formieren. Die Autor_innen zeigen mit ihrer Recherche, dass das Bündnis „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“, wie Pegida ausgeschrieben heißt, keineswegs aus heiterem Himmel entstand, wie es das Orgateam in ihrem „Gründungsmythos“ (S. 11) gerne darstellt.
In Unterkapiteln stellt das Forschungsteam die einzelnen Gestalten des Protests sowie das Umfeld der Gründungspersonen vor. Hierbei können sie sich etwas Häme nicht ganz sparen, etwa, wenn sie ihr Wissen mit den Leser_innen teilen, dass Mitgründer Lutz Bachmann einst ein polizeilich gesuchter Einbrecher war und heute gerne „mit seinem Hund ‚Bärbl‘ kuschelt und am Wochenende gerne faulenzt“. Nächster Satz: „Bachmann ist in einer Facebook-Gruppe namens ‚Latexliebe‘“ (S. 13). Das sind dann doch die Details, die man schmunzelnd bis irritiert zur Kenntnis nehmen, aber – selbst als enthusiastischer Freudianer – nicht nutzen sollte, um sich Pegida zu erklären.
Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass die Akteur_innen sich teilweise schon lange Jahre kannten und in unterschiedlichen Netzwerken gemeinsam aktiv waren – sowohl in Facebook-Gruppen als auch in den verschiedenen Freundeskreisen, in denen viele andere Personen dem rechten und rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind: unter anderem NPD-Abgeordnete, Pro Deutschland-Anhänger_innen und Hools von Dynamo Dresden. Im Laufe der Zeit stieg allerdings der Anteil derjenigen Beteiligten an, die sich nicht so ohne weiteres in das extrem rechte Lager einordnen lassen – und die sich auch selbst vehement dagegen wehren, als „Neonazis in Nadelstreifen“ (S. 25) wahrgenommen zu werden. Die von den Autor_innen beobachtete „Heterogenität des ‚Aktionsbündnisses‘“ (S. 17) behielt aber weiterhin den rechtsextremen Unterbau - auch in den anderen Städten, in die sich das Dresdner „Modell“ ausweitete. Mit Aktionen wie einem Spendenaufruf für die Dresdner Tafel sollten aber auch andere Spektren erreicht und ein „enger Schulterschluss zur bürgerlichen Mitte der Gesellschaft“ (S. 16) vollzogen werden. Anfang 2015 zeigen sich zudem zunehmend Funktionäre der Alternative für Deutschland (AfD) offen als Befürworter_innen der Pegida-Spaziergänge. Die Forschungsgruppe bemerkt, Pegida habe „viele gemeinsame Schnittmengen bei den Themen Einwanderungs- und Asylpolitik“ (S. 18) festgestellt.
Waren es bei der ersten Demonstration im Oktober lediglich etwa 350 Anwesende, wuchs die Teilnehmerzahl schnell an. Nach dem zahlenmäßigen Höhepunkt am 12. Januar mit rund 25.000 Teilnehmenden war diese Entwicklung allerdings vorbei, Streitigkeiten und Brüche traten zutage. Die Forschenden halten die genaue Beschreibung der Geschehnisse bis zur Zersplitterung und der zunehmenden Schwächung der Pegida-Organisation samt der zahlreichen Splittergruppen bis Mitte Februar aufrecht (zu diesem Zeitpunkt wurde die Studie fertiggestellt).
Ostwind mit gehöriger Portion Ressentiment
„Ostwind bringt eiskalte Luft in die Stadt. Vielleicht erscheinen deshalb die Menschen recht spät. Noch Minuten vor Beginn der Veranstaltung sieht man Ströme von Menschen […] sich dem Versammlungsort nähern. Sie fließen zügig und still. Auch auf dem Platz ist es weitgehend ruhig. Man steht in Kleingruppen beieinander, zu fünft, zu viert, als Paar, wartet – und redet kaum. Die Blicke richten sich zu Boden, auf das eigene Handy, teils sich musternd, teils starr in Richtung Platzmitte, wo man die weiße Rednerkabine, nicht mehr als ein Plasteverhau, zu erkennen meint.“ (S. 35)
Im zweiten Kapitel versuchen die Forscher_innen, die geneigten Lesenden mithilfe szenischer Beschreibungen der Pegida-Spaziergänge näher an das geschehen heranführen.Weiter geht es: „Auf den mitgebrachten Schildern und Transparenten wird die ‚Macht des Volkes‘ beschworen: ‚Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will‘“ (ebd.). So wie man in der DDR ein „linkes diktatorisches Regime rausgefegt“ (S. 23) habe, wolle man nun erneut das „linke Denken“ (ebd.) und das dazu gehörige Personal vertreiben. Das „linke Pack“ ist nach den Beobachtungen der Forscher_innen ein Hauptfeind der Pegidisten: „Die Redner des Abends feiern die Polizei, die ‚wieder einmal‘ eine Pegida-Veranstaltung vor ‚linken Chaoten‘ geschützt habe.“ (S. 42) Insgesamt erstreckt sich die Beschreibung der (Pe-)gida-Proteste auf rund 60 Seiten und wird durch aussagekräftige Bilder der einzelnen Spaziergänge ergänzt. Die Forscher_innen, werden von den Pegidisten nicht gerade freundlich empfangen: Gegenüber den Medien und auch Forschungsgruppen herrscht großes Misstrauen. Doch für die Protestforschung sind die Beobachtungen existenziell, wie die Forscher_innen darstellen: „Man kann durch sie den Pulsschlag einer Bewegung fühlen, Stimmungen und Atmosphären spüren, das Protestambiente beschreiben“ (S. 34).
Mittelalt, männlich und ziemlich misantrophisch
Gruppengespräche sollen die Lebenswelt der Pegidisten für die Beteiligten greifbarer machen. In ihnen wird etwa die Heimat – „ich bin militanter Sachse“ (S. 91) – ebenso hervorgehoben wie die „das Unbehagen“(S. 96), welches bei der Errichtung von Flüchtlingsunterkünften, insbesondere „mitten im Wohnort“ (ebd.) sowie den ausbrechenden Konflikten in der Welt verspürt würde. Die Forscher_innen beschreiben, wie sich Misstrauen gegenüber „der Politik“ und natürlich auch der „Lügenpresse“ (S. 100) sowie das „Gefühl des Alleingelassenseins“ (S. 99) in einer umso vehementeren Verteidigung von Pegida samt seiner inhaltlichen Schwerpunkte manifestiert. Einher geht das auch mit einem Überlegenheitsgefühl, weil die Beteiligten selbst zu verstehen scheinen, wie der Hase läuft: „Das tumbe, ahnungslose Glotzen sei dem für immer geschärften kritischen Blick gewichen, die Zusammenhänge würden nun ‚sonnenklar‘, kurz: Man habe es durchschaut – im Gegensatz zu vielen anderen“ (S. 103). Sie lesen die "Junge Freiheit" oder informieren sich über rechtspopulistische Plattformen wie "Politically Incorrect", wobei sie darüber auch vermeintliche Einblicke in die Berichterstattung „der Antifa“ (als Rezeptionen und Verrisse linken Journalismus) erhielten.Aus den Gruppengesprächen, rund 570 ausgefüllte Online-Fragebögen und zahllosen Vor-Ort-Erkundungen ergibt sich das Bild: Der typische Pegidist ist „mittelalt, männlich und ziemlich misantrophisch“ (S. 63) mit mittlerem bis universitärem Bildungsabschluss. „Sie sind Ausdruck eines politischen Gärungsprozesses, der Teile der deutschen Gesellschaft rechts der Mitte erfasst hat.“ (Ebd.) Dies wird auch deutlich anhand der Frage, welche Partei die Teilnehmer_innen bei der letzten Bundestagswahl wählten: 24,8 Prozent CDU/CSU, weitere 4,8 Prozent die NPD und ganze 47,1 Prozent die zu diesem Zeitpunkt noch taufrische und erstarkende AfD.
Von Staatstreue und der Notwendigkeit neuer linker Strategien
Die Forscher_innen führen in einem etwas wilden Exkurs Gemeinsamkeiten der Proteste aus, welche sie in den vergangenen Jahren beforschten. Sie gehen dabei vor allem der Frage nach, ob Querfronten zwischen verschiedenen Protestbewegungen möglich seien, also ob mögliche Schnittstellen von Pegida zu den Montagsmahnwachen, zu Occupy und zu Stuttgart 21 zu finden sind. Vor allem stoßen sie dabei auf ein „Potpourri von Gedankenfetzen und Unmutsgefühlen“ (S. 195), die als Spiegel der Mitte der Gesellschaft gewertet werden. Die Proteste gegen Pegida scheinen aus Sicht der Studie ebenfalls ein rot-rot-grünes Signum „bürgerlicher Provenienz“ (S. 79) zu sein, von dem die Forscher_innen verlauten lassen, dass die Beteiligten „weiblicher, jünger und grüner – und bemerkenswert staatstreu“ (S. 71) seien. So werden die verschiedenen Proteste der vergangenen Jahre als „abwehrende Reflexe“ (S. 196) auf einen anhaltend „dynamischen und allmählich schwer erträglichen Kapitalismus“ gelesen, der „immer schon die Zukunft besetzt (hält), er ist Unruhe, Verausgabung, Maßlosigkeit, Beschleunigung.“ (Ebd.) Die Forscher_innen resümieren:
„Altlinke Stürme auf die Zitadellen der ‚bürgerlich-kapitalistischen Demokratie‘ sind aus dem alles in allem brav-moderaten republikanischen rot-grünen Milieu nicht mehr zu erwarten oder zu befürchten beziehungsweise, wer es denn wünschte, zu erhoffen. Auch damit mochte es zu tun haben, dass sich für die Unzufriedenen, Verbitterten und Verletzten dieser Republik auf der linken Seite kein politischer Adressat mehr fand. Am Ende könnte erst das vielleicht Pegida ins Spiel gebracht und Resonanz verschafft haben.“ (S. 80)
Die aktuelle Entsolidarisierung und die politische Heimatlosigkeit, die sich letztlich als rassistische und wohlstandschauvinistische Protestform Pegida manifestiert, verdeutlichen für die Forscher_innen die Abstiegsängste einer Mittelklasse in Deutschland. Aus diesem Kapitel, und auch aus dem Kapitel zur Einbettung in die gesamteuropäische Entwicklung, lässt sich - trotz der für wissenschaftliche Studien typischen politischen Zurückhaltung - eine Notwendigkeit neuer Organisierung gegenüber neuen Formen bürgerlich-rechter und extrem rechter Umtriebe für linke Kämpfe ableiten. Insbesondere müssen auch klassenkämpferische Positionen und gemeinsame antirassistische Solidaritätsformen (insbesondere auch gegen antimuslimischen Rassismus und im Bereich der Solidarität mit Geflüchteten) stärker in den Vordergrund gerückt werden, ohne die jedweder Protest gegenüber den neuen rechten Lagern regelrecht verpufft. In diesem kleinen Buch sind dafür einige interessante Anknüpfungspunkte zusammen getragen.
Bibliografische Angaben
Lars Geiges / Stine Marg / Franz Walter: Pegida. Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft? transcript-Verlag 2015. 208 Seiten, ISBN 978-3-8376-3192-0, EUR 19,99.
Der Artikel erschien zuerst auf kritisch-lesen.de. Wir danken für die freundliche Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.