Rezension
Rezension: Steueroase Deutschland
12. Januar 2017 | Patrick Schreiner
Markus Meinzer zeigt in „Steueroase Deutschland“, dass die Bundesrepublik in Sachen Steuerpolitik und Steuervollzug keinen Deut besser ist als Luxemburg, Irland, Schweiz und Co.
2009 hatte der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) die Schweiz zutiefst verärgert: Er verglich die kleine Alpenrepublik mit Indianern im Wilden Westen – um sie zu disziplinieren, genüge es bei beiden, mit der Kavallerie lediglich zu drohen. Kavallerie, das war im vorliegenden Fall eine schwarze Liste der OECD mit Steueroasen, auf der die Schweiz zu erscheinen und damit gebrandmarkt zu werden drohte. Diszipliniert wurde die Schweiz in Form der Bereitschaft, ihr Bankgeheimnis zu lockern.
Im deutschen Diskurs um Steuerhinterziehung und Geldwäsche scheint es zwei Gruppen von Ländern zu geben: Die bösen und die guten, die suspekten und die seriösen, die Steueroasen und die anderen. Und selbstredend sehen Politik, Öffentlichkeit und Medien hierzulande die Bundesrepublik als prinzipienfestes Mitglied der zweiten Gruppe. Steinbrücks berühmter Kavallerie-Vergleich mag dies unterstreichen: Die Indianer-Schweizer sind darin die Bösen.
Schattenfinanz-Index: Platz 8
Tatsächlich aber gibt es für deutsche Überheblichkeit keinerlei Grund. So liegt die Bundesrepublik im globalen Schattenfinanz-Index des Netzwerks Steuergerechtigkeit (2015) immerhin auf Platz 8 – noch vor so notablen Steueroasen wie Panama, Jersey, Liechtenstein oder den Britischen Jungferninseln. Der wesentlichste Grund dafür ist zwar die enorme wirtschaftliche Bedeutung und Größe Deutschlands, die als ein Faktor in das Ranking einfließt. Doch auch in Sachen Steuervollzug, Finanzgerichtsbarkeit, Steuerpolitik sowie Kampf gegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche liegt hierzulande einiges im Argen.
In seinem Buch „Steueroase Deutschland“ beschreibt Markus Meinzer anschaulich, welche rechtlichen und organisatorischen Mängel und Lücken es mafiösen Geldwäschern ebenso wie reichen Steuerhinterziehern und steuerkreativen Konzernen leicht machen, Gewinne und sonstige Gelder verschwinden und wieder auftauchen zu lassen. Meinzer ist Steuer- und Finanzanalyst beim eben erwähnten Netzwerk Steuergerechtigkeit, einem internationalen Netzwerk, das zu Themen wie Steuervermeidung, Steuerhinterziehung und Finanzintransparenz arbeitet.
Die Mängel der Steuerpolitik und des Steuervollzugs in Deutschland sind lang, wie Meinzer an zahlreichen Beispielen zeigt: So ist Deutschland Steueroase für seine Nachbarstaaten. Legen StaatsbürgerInnen dieser Länder Geld etwa in einer schwäbischen Kleinbank an, wird nach der Herkunft des Geldes nicht gefragt. Auch ob es besteuert wurde, spielt keine Rolle. Zudem müssen so genannte „SteuerausländerInnen“ in Deutschland, anders als in der Schweiz, keine Abgeltungssteuer (Steuern auf Kapitalertrag) bezahlen – damit dürfte das Land der Kavallerie letztlich für Steuerflüchtlinge attraktiver sein als die Schweiz. Hinzu kommt, dass Deutschland andere Länder nicht systematisch über Zinserträge ausländischer StaatsbürgerInnen in Deutschland informiert.
Diktatorengeld in Deutschland
Großkriminelle und ausländische Diktatoren können sich freuen, dass laut geltender Geldwäscheregelungen in Deutschland Untreue, Erpressung und Vorteilsannahme nicht – wie in anderen Ländern – automatisch zu Ermittlungen wegen Geldwäsche führen. Und wer sein gewaschenes Geld verstecken möchte, kann dies mit Immobilien bequem tun: In Deutschland ist ein Einblick ins Grundbuch durch die Öffentlichkeit oder durch Medien nicht möglich. Doch auch die üblichen Unternehmensformen ermöglichen einen intransparenten Umgang mit Vermögen: Für AktionärInnen von Aktiengesellschaften gibt es keine Register, und über die Gesellschafter von GmbHs kann man sich nur kostenpflichtig informieren. Diese Intransparenz erlaubt die bekannten komplexen Unternehmensstrukturen, die in letzter Konsequenz selbst für FinanzbeamtInnen nicht mehr zu durchschauen sind.
Exportförderung auf Kosten Dritter
Auch der deutsche Exportwahn feiert in steuerpolitischen Fragen fröhliche Urständ: Wenn es auf internationaler Ebene um Verträge und Abkommen zur Besteuerung ausländischer Tochtergesellschaften geht, trat Deutschland bislang unter jeder Bundesregierung (gleich welcher Couleur) als Bremser auf. Faktisch betreibt die Bundesrepublik hier Exportförderung auf Kosten von Drittstaaten: Es profitieren die deutschen Exportkonzerne – aber etwa auch das ob seiner Steuervermeidungs-Strategie von den gleichen PolitikerInnen gerne beschimpfte Amazon.
Diese Liste ist bei Weitem nicht vollständig – Meinzers Darstellung ist umfassend und detailliert. Gleichwohl machen schon diese wenigen Beispiele deutlich, dass gerade im Vorreiterland der Kavallerie noch vieles zu tun ist. Ein erster politischer Schritt wäre vielleicht, dieses Problem überhaupt einmal zu erkennen – statt reflexartig und populistisch über Steueroasen anderswo herzuziehen.
Um Meinzers Buch zu verstehen, muss man weder FinanzbeamtIn noch WirtschaftsjuristIn sein; es ist vielmehr gut lesbar und auch für Laien verständlich. Zahlreiche anschauliche Beispiele erläutern nicht nur die zentralen Aussagen, sondern unterstreichen auch die politische Relevanz des Themas. Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt, sondern vielmehr ein ernstzunehmendes verteilungspolitisches Problem. Die Lektüre macht deutlich: Einfach nur höhere Steuern auf hohe Einkommen, Gewinne und Vermögen zu fordern, wie viele Linke es tun, ist zwar nicht falsch. Mindestens ebenso wichtig aber ist es, Steuerschlupflöcher zu stopfen und die legale kreative Steuerumgehung (etwa auch durch internationale Konzerne aus Deutschland und Drittstaaten) zu unterbinden. Auch Deutschland hat da enormen Nachholbedarf.
Literaturangabe:
Markus Meinzer (2015): Steueroase Deutschland. Warum bei uns viele Reiche keine Steuern zahlen. München: C.H. Beck. 288 Seiten, 14,95 Euro. ISBN 978-3-406-66697-1.
Der Artikel erschien leicht überarbeitet zuerst kritisch-lesen.de Ausgabe 41. Wir danken für die freundliche Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.