SPD bereitet Zustimmung zum Fiskalpakt vor - Anmerkungen zum Troika-Papier
2. April 2012 | Patrick Schreiner
Das Wort "Troika" ist ja inzwischen im politischen Raum weit verbreitet. Die Griechen müssen sich von einer "Troika" aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank malträtieren lassen. Für die drei potentiellen SPD-Kanzlerkandidaten Gabriel, Steinmeier und Steinbrück hat sich mittlerweile der gleiche Begriff eingebürgert. Angeblich aber, so wollen sie uns in einem gestern in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienenen Beitrag (Link) glauben machen, verfolgen sie eine ganz andere Politik als Frau Merkel und die andere Troika. Die Unterschiede allerdings sind rhetorisch. Einige Anmerkungen zum Text der SPD-Granden.
Hintergrund des Papiers ist die aktuelle Eurokrise und Finanzkrise. Es ist inzwischen offensichtlich, dass die Kürzungs- und Austeritätsprogramme in Südeuropa nicht aus der Krise helfen, sondern dort die wirtschaftliche Entwicklung und gesellschaftliche Ordnung zerstören. In Griechenland, Portugal, Irland, Spanien, aber auch in Italien kommt die Konjunktur nicht in Gang oder bricht gar völlig ein, erhoffte Staatseinnahmen bleiben aus, die Arbeitslosigkeit explodiert, junge Menschen verlassen massenhaft diese Länder. Wir beobachten drastische Proteste und Streiks. Die Staatsverschuldung nimmt allenfalls in homöopathischen Dosen ab, wenn sie nicht - im Regelfall - sogar zunimmt. Die Krise eskaliert. Es zeigt sich: Die Kürzungs- und Austeritätsprogramme bewirken ziemlich genau das Gegenteil von dem, was sie eigentlich intendierten. Programme allerdings, daran sollte an dieser Stelle erinnert werden, denen die SPD im Bundestag ohne Ausnahme zugestimmt hat.
Die aktuelle Fragestellung (und Anlass für das Papier der SPD-Troika) ist vor diesem Hintergrund das mögliche Verhalten der SPD gegenüber dem neuesten und radikalsten Kürzungs- und Austeritätspaket, das ganz wesentlich von Bundeskanzlerin Merkel gestrickt wurde und das nun aus Brüssel über Europa zu kommen droht: Dem so genannten "Fiskalpakt".
Ihren Text mit dem Titel "Warum wir die soziale Marktwirtschaft brauchen" haben die SPD-Granden "einen europäischen Appell" genannt. Sie fordern darin "Investitionen in Wachstum und Beschäftigung und eine Finanztransaktionssteuer". So weit, so richtig. Allerdings ist von einem Junktim nicht mehr die Rede. Erinnern wir uns: Nachdem vor einigen Wochen klar wurde, dass es für eine Ratifizierung des so genannten "Fiskalpakts" in Deutschland einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag bedarf, hatte die SPD ihre Zustimmung zum Fiskalpakt noch an die Einführung einer Finanztransaktionssteuer geknüpft.
Wolfgang Lieb hat dieses Umfallen der Sozialdemokraten auf den Nachdenkseiten zu Recht wie folgt kommentiert (Link):
Wie nicht anders zu erwarten und wie üblich hat die SPD-Spitze mit der Forderung nach einem Junktim zwischen Fiskalpakt und der Einführung einer Finanztransaktionssteuer sowie einem Wachstumsprogramm mal wieder die Backen aufgeblasen, aber bevor sie gepfiffen hat, ging ihr die Luft aus.
Von einem Junktim ist im weichgespülten Steinmeier-Gabriel-Steinbrück-Text tatsächlich nicht mehr die Rede. Zwar werden darin jede Menge richtiger Analysen angestellt wie etwa die, dass
- die "anhaltende Finanzkrise wird immer mehr zur Bedrohung der europäischen Demokratien" wird,
- "die Bundeskanzlerin in immer kürzeren Abständen erst Erhöhungen der finanziellen Belastungen für die Bundesrepublik ausschließt, um sie kurz danach als alternativlos im Bundestag einzufordern",
- "die hohen Kosten und Lasten zur Bewältigung der Finanzkrise 2008/2009 völlig ungerecht verteilt werden, weil eine Verursacherhaftung nach wie vor fehlt",
- "große Teile der europäischen Staatsschulden nicht durch eine unverantwortliche staatliche Ausgabenpolitik entstanden" sind, "sondern als Folge der notwendigen Stabilisierung der Finanzmärkte und hilfreicher staatlicher Konjunkturprogramme",
- es "ein Irrglaube" ist, "allein durch Schuldenbremsen und drastisch reduzierte Staatsausgaben könnten sich die europäischen Mitgliedstaaten 'am eigenen Schopf aus dem Schuldensumpf' herausziehen",
- das "Beispiel Griechenland zeigt, wie schwierig es ist, eine Haushaltssanierung zu erreichen, wenn die wirtschaftliche Entwicklung des Landes zusammenbricht",
- der "Teufelskreis aus Verschuldung, Arbeitslosigkeit und Rezession [...] zu einem gefährlichen Strudel werden [kann], der auch die Stärksten umreißt".
Nur nennt das Papier keinerlei Bedingung (mehr), die mit der Zustimmung der SPD zum so genannten "Fiskalpakt" verknüpft werden soll. Verbunden wird die eben skizzierte, im Grundsatz richtige Analyse lediglich noch mit der sehr viel weicheren Forderung, man müsse nun "Hauptursachen korrigieren". Aber, so stellt sich dem unbedarften Beobachter die Frage, weshalb braucht die SPD zwei Jahre, um endlich die Frage nach den Hauptursachen zu stellen? Und vor allem: Wieso stimmt sie zwei Jahre lang Kürzungspaketen und Maßnahmen zu, die ganz offenbar an den Hauptursachen vorbei gegangen sind? Die die Krise ja, wie der SPD-Beitrag selbst einräumt, sogar verschärft haben? Auf diese Fragen präsentieren Steinmeier-Steinbrück-Gabriel zumindest einen Ansatz von Antwort:
Bis jetzt allerdings verweigert die konservative Mehrheit in der Europäischen Union unter der Führung von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy sich hartnäckig dieser Einsicht.
Aha! Der politische Gegner ist also schuld! Gleichwohl bleibt ein fader Beigeschmack: Weshalb hat man dann bisher die vom politischen Gegner vorgeschlagenen Maßnahmen ausnahmslos und ohne großes Murren mitgetragen?
Vermutlich, weil man inhaltlich selbst gar nicht so sehr davon unterscheidet. Auf die eigene Beteiligung an der Durchsetzung der Schuldenbremse in Deutschland ist die SPD-Troika erklärtermaßen mehr als stolz:
Nicht zuletzt [...] ist die 'Schuldenbremse' von uns Sozialdemokraten aktiv vorangebracht und in der Verfassung unseres Landes verankert worden.
Und als ob man nicht eben die Finanzkrise, die Bankenrettungsprogramme und die (sinnvollen) Konjunkturpakete als Ursachen der explodierten Staatsverschuldung ausgemacht hätte, schreibt man den "Sanierungskandidaten" in Südeuropa ins Stammbuch:
Die Zeit des bedenkenlosen Schuldenmachens ist vorbei.
So viel anders als bei den Konservativen klingt das nicht. Doch schauen wir uns die SPD-Position genauer an. Was Steinmeier, Steinbrück und Gabriel hier als Position beschreiben, ist ein angebliches Sowohl-Als-Auch. Man sei für Kürzungen und Schuldenbremsen, aber - anders als die Konservativen - auch für Wachstumspolitik und gegen Austerität.
Wer die Ziele des Fiskalpakts ernst nimmt, muss auch Investitionen in Wachstum und Beschäftigung ermöglichen. Hier liegt der zentrale Unterschied zwischen unseren Vorstellungen und den 'Münchhausen-Konzepten' von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy. Ihre Verengung auf eine reine Austeritätspolitik vergrößert die wirtschaftlichen und finanziellen Probleme in Europa.
Die SPD-Granden wollen zwar Austeritätspolitik, darüber hinaus aber auch mehr:
Es geht darum, durch die Kombination von Schuldenbremsen, Wachstumsinitiativen und einer angemessenen Beteiligung der Finanzmärkte den 'Fiskalpakt' überhaupt wirksam werden zu lassen. Wer sich dem verweigert, der wird erleben, dass die europäischen Schulden trotz des Fiskalpakts weiter wachsen.
Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass! Gegen den Fiskalpakt stellen sich Steinmeier, Steinbrück und Gabriel nicht, man will ihn ergänzen, damit er überhaupt Erfolg haben könne. Strategisch ist dies der erste Schritt zur Zustimmung im Bundestag - und zugleich ein Rückschritt gegenüber der ursprünglichen Bindung dieser Zustimmung an die Einführung einer Finanztransaktionssteuer.
Was die SPD-Troika hier als ökonomische Vernunft und Alleinstellungsmerkmal verkaufen möchte, ist überdies so innovativ gar nicht: Zumindest rhetorisch haben die Konservativen in Europa inzwischen die Floskel von "Wachstumsinitiativen" und Zukunftsinvestitionen, die es ergänzend neben Kürzungen geben müsse, auch gelernt. Wie gesagt, rhetorisch. Doch mehr als Rhetorik kann das auch gar nicht sein. Wer Staatsverschuldung als Hauptproblem ansieht und Kürzungen vornimmt, kann nicht zugleich Wachstumspolitik betreiben und Zukunftsinvestitionen tätigen. Wer gewaschen wird, bekommt nun mal einen nassen Pelz. Egal, ob man nun durch SPD oder CDU, durch Steinmeier/Steinbrück/Gabriel oder durch Merkel/Sarkozy gewaschen wird.
Das Grundproblem mit den herrschenden Gestalten dieser Partei ist, dass sie noch immer keine Europäer sind. Sicher, ihr Text ist voll von pathetischen Ausführungen zur Bedeutung Europas. Zugleich schimpfen sie zu Recht über die Konservativen des Kontinents - allen voran Merkel und Sarkozy. Sie tun dies, als ob die Unterschiede in Europa in erster Linie zwischen den politischen Lagern bestünden. Und doch ist die eigentliche Kategorie, nach der sie Politik machen, der Nationalstaat. Wenn die Kategorie "Europa" analytisch Vorrang hätte gegenüber der Kategorie "Nationalstaat", würden sie sich grenzüberschreitend dem gegen den Fiskalpakt gerichteten Wahlkampf François Hollandes anschließen. Bedenkenlos, laut und ohne Einschränkung. Dann wären ihnen auch die berühmten "kleinen Leute" in Spanien und Griechenland wichtiger als die "großen Leute" in Deutschland. Was wir aber sehen, ist eine SPD, für die im Zweifelsfall zwei andere Fragen im Vordergrund stehen: Erstens, wie kommt eine Ablehnung des Fiskalpakts beim deutschen Steuerzahler an? Zweitens, wie steht Deutschland vor seinen europäischen Partnern da, wenn die deutsche Regierung den Fiskalpakt zuerst durchsetzt und das deutsche Parlament ihn dann ablehnt?
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.