Steigende Grundstückspreise, steigende Mieten: Diese Bundesregierung wird den Bodenwahnsinn nicht stoppen
4. November 2020 | Maximilian Fuhrmann
Extreme Bodenpreissteigerungen verschärfen die soziale Ungleichheit. Eine stärkere Regulierung ist nicht in Sicht. Auch das geplante Baulandmobilisierungsgesetz klammert die entscheidenden Fragen aus.
Seit Jahren gibt es aus guten Gründen eine breite Debatte über steigende Mieten und Immobilienpreise. Vergleichsweise wenig Beachtung findet hingegen die mindestens ebenso dramatische Bodenpreisentwicklung. Der Bodenmarkt ist dem Immobilien- und Mietmarkt vorgelagert. Der Preis des Bodens gibt weitgehend die spätere Nutzung vor, wie ein Beispiel aus München illustriert. 2014 kostete die Herstellung eines Quadratmeters Wohnfläche in der Klenzestrasse 7160 Euro. 58 Prozent der Kosten entfielen auf den Bodenpreis, 42 Prozent auf die gesamten Aufwendungen für die Fertigung der Wohnung, von der Planung bis zur Schlüsselübergabe. Vier Jahre später kostete die Herstellung eines Quadratmeters Wohnfläche bereits 11.500 Euro, wobei 71 Prozent auf den Bodenpreis entfielen. Anders formuliert: Während die Baupreise zwischen 2014 bis 2018 um 10 Prozent gestiegen sind, haben sich die Bodenpreise für die Klenzestrasse von 4.153 auf 8.165 Euro pro Quadratmeter fast verdoppelt. Damit sich die Investition rechnet, muss 2018 eine Kaltmiete von 27 Euro pro Quadratmeter veranschlagt werden. Würde dem Bauherrn das Grundstück kostenlos zur Verfügung stehen, rechnete sich die Investition bereits bei einer Kaltmiete von 7,81 Euro (Süddeutsche Zeitung, 29. August 2019).
Hier zeigt sich, dass in begehrten Lagen gar nicht mehr günstig gebaut werden kann und ein beträchtlicher Teil der Nettokaltmiete auf den Bodenpreis zurückgeht. An der Ausstattung und den Baukosten zu sparen fällt kaum ins Gewicht. Und da mit einer Luxusausstattung, die im Hinblick auf die Gesamtherstellungskosten kaum teurer ist als eine mittlere Ausstattung, sehr viel höhere Preise zu erzielen sind, werden im frei finanzierten Bereich vor allem Eigentumswohnungen im Luxussegment gebaut.
Auch auf den Bestand haben die Bodenpreise eine signifikante Auswirkung. Wird ein Mietshaus heute zum doppelten Preis von 2012 verkauft, liegt das nicht daran, dass der Gebäudewert entsprechend gestiegen ist. Die Steigerungen gehen auf die Attraktivität der Lage und somit den gestiegenen Bodenpreis zurück. Um die Renditeerwartung des Käufers zu erfüllen werden die Mieten in die Höhe getrieben oder versucht die einzelnen Wohnungen nach einer Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen teuer weiter zu verkaufen. In beiden Fällen sind die Mieter*innen von Verdrängung bedroht. Über steigende Bodenpreise können sich nur diejenigen freuen, die Immobilien oder Grundstücke ihr Eigen nennen.
Datengrundlage
Die Bodenpreise werden relativ realitätsgetreu in den Bodenrichtwerten der lokalen Gutachterausschüsse dargestellt. Grundlage der Werteermittlung sind zurückliegende Immobilien- und Grundstückstransaktionen. Die Werte bilden das Marktgeschehen von vor etwa einem Jahr ab und sind sehr kleinräumig dargestellt. Die aktuellen Werte sind für viele Gemeinden kostenlos online einsehbar: ▸https://www.bodenrichtwerte-boris.de/borisde/?lang=de . Für manche Gebiete sind auch die Entwicklungen der letzten Jahre nachvollziehbar. Beispielsweise ist der Bodenrichtwert in Teilen von Berlin-Neukölln zwischen 2012 und 2020 von 340 auf 3600 Euro gestiegen. Er hat sich also mehr als verzehnfacht. In Leverkusen-Opladen stagnierten die Bodenrichtwerte bis 2016, stiegen aber seitdem um jährlich ca. zehn Prozent.
Einen Gesamtüberblick zu den bundesweiten Bodenpreisentwicklungen geben die Kaufpreise für Bauland von den statistischen Landesämtern. Hier sind die Kaufwerte auf Kreisebene für die letzten Jahre abgebildet und kostenfrei zugänglich: ▸https://www.regionalstatistik.de/genesis/online;jsessionid=38AC34673C1C8671FF54D2B17F9F5DC9.reg1?sequenz=statistikTabellen&selectionname=61511 . Die Zahlen zeigen, dass die Baulandpreise vor allem in den Städten und Metropolräumen stark steigen, während sie in manchen Landkreisen auch sinken. Die zehn teuersten Kreise für baureifes Land sind überwiegend Großstädte in Westdeutschland. Die zehn günstigsten Kreise liegen alle in Ostdeutschland.
Hier ist Bauland am teuersten (Euro/m²):
- 1. München (Stadt) 2.376
- 2. München (Landkreis) 1.656
- 3. Stuttgart 1.544
- 4. Düsseldorf 1.363
- 5. Mainz 1.353
- 6. Berlin 1.328
- 7. Starnberg 1.262
- 8. Frankfurt am Main 1.260
- 9. Hamburg 1.158
- 10. Nürnberg 1.071
Hier ist Bauland am günstigsten (Euro/m²):
- 1. Elbe-Elster 12,90
- 2. Uckermark 17,14
- 3. Prignitz 18,67
- 4. Altmarkkreis Salzwedel 18,93
- 5. Stendal 19,48
- 6. Spree-Neiße 19,67
- 7. Altenburger Land 20,99
- 8. Oberspreewald-Lausitz 22,32
- 9. Kyffhäuserkreis 22,95
- 10. Saale-Orla Kreis 23,76
Die einzelnen Werte sind jedoch nur bedingt aussagekräftig. Denn innerhalb eines Kreises unterscheiden sich die Kaufpreise zwischen attraktiven zentralen Lagen und peripheren Gebieten. Je nachdem wo viele Transaktionen stattgefunden haben, schwanken die Durchschnittspreise von Jahr zu Jahr teils erheblich. Entwicklungen und regionale Unterschiede sind aus den Zahlen jedoch deutlich erkennbar.
Weitere Folgen der Bodenpreisentwicklung
Neben den offensichtlichen wohnungspolitischen Folgen wirken sich die Bodenpreise noch auf weitere Bereiche aus. Durch das Erbe eines Einfamilienhauses im Münchner Umland wird die begünstigte oftmals zur Millionärin, während das baugleiche Haus die Erbin im Süden Brandenburgs weit weniger reich machen wird. Die verteilungspolitische Wirkung ist ebenso negativ wie durchschlagend.
Die stark steigenden Bodenpreise stellen Kommunen vor die Herausforderung, Flächen für die Errichtung der sozialen Infrastruktur wie Schulen, Krankenhäuser, Bibliotheken Kitas etc. zu finden. Da viele Kommunen ihre Flächen in den 1990er Jahren privatisiert haben, fehlen sie nun zur Entwicklung der Städte oder müssen teuer zurückgekauft werden. Zudem werden Gewerbegrundstücke knapp und teuer, um Betriebe und Versorgungseinrichtungen stadtnah ansiedeln zu können.
Auch jenseits der Siedlungen haben die steigenden Bodenpreise Konsequenzen. Während ein Hektar Ackerfläche 2010 11.854 Euro kostete, waren es neun Jahre später mit 26.439 Euro mehr als doppelt so viel. Besonders teuer sind die Flächen in Bayern und NRW, während die höchsten Preissteigerungsraten in den ostdeutschen Ländern zu verzeichnen sind. Außerdem sind in den letzten Jahren deutliche Konzentrationsprozesse in den Händen professioneller Investor*innen erkennbar.
Wege aus dem Bodenwahnsinn
2018 setzte die Bundesregierung eine Expertenkommission »Nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik« ein. Doch da bereits im Koalitionsvertrag festgelegt war, dass es keine weiteren Eingriffe in Eigentumsrechte geben solle, fiel der Kommissionsbericht entsprechend unambitioniert aus. Dieser Bericht ist Grundlage der Novelle des Baugesetzbuches. Am 4. November 2020 hat das Bundeskabinett nach zähem Ringen ein Gesetz vorlegt. Bezüglich der Bodenfrage sind vor allem folgende Punkte relevant.
- 1.) Flächenversiegelung: Die Umsetzung von Baumaßnahmen im Außenbereich, also auf der grünen Wiese, soll weiterhin erleichtert werden. Dies führt zu stärkerem Flächenverbrauch und Bodenversiegelung. Wohnungspolitisch ist diese Maßnahme wenig sinnvoll, da durch die Erleichterung vor allem Einfamilienhäuser in wenig angespannten Wohnungsmärkten entstehen.
- 2.) Baugebote: Sie können ein wichtiges Instrument gegen die Bodenspekulation sein. Denn gerade in begehrten Lagen bleiben Flächen unbebaut, da die Gewinnmargen bei Weiterverkauf unbebauter Grundstücke größer sind als ihre Verwertung durch Bebauung. Ein Baugebot könnte Eigentümer*innen zur Bebauung (oder den Verkauf des Grundstücks an die Kommune) zwingen. Die Hürden zur Anwendung sind jedoch sehr hoch, sodass Baugebote bislang kaum angewendet werden. Dieses Problem wird mit dem Gesetz nicht wirklich gelöst.
- 3.) Vorkaufsrechte: Die Möglichkeit für Kommunen Vorkaufsrechte auszuüben soll erweitert werden. Zukünftig haben Kommunen ein Vorkaufsrecht wenn geringfügig bebaute und untergenutzte Grundstücke die Eigentümerin wechseln.
Für eine detaillierte Kritik am Gesetzesentwurf siehe die Stellungnahmen vom Deutschen Mieterbund ( ▸https://www.mieterbund.de/fileadmin/public/pdf_PM/Stellungnahme_Referentenentwurf_Baulandmobilisierungsgesetz03072020.pdf ) und vom DGB ( ▸https://www.dgb.de/downloadcenter/++co++f248ba68-bf7d-11ea-a46e-525400e5a74a ).
Die grundlegenden Mechanismen des Bodenmarktes, die, angetrieben von der seit Jahren anhaltenden Niedrigzinsphase und der mangelnden Regulierung, die Preise explodieren lassen, werden im Gesetz nicht behandelt. Dabei sind die passenden Instrumente um die Preisspirale zu durchbrechen schon lange bekannt.
- Planungswertausgleich: Erklärt eine Kommune Ackerland zu Bauland, kann sich der Wert der Fläche auf einen Schlag vervielfachen. Durch einen Planungswertausgleich werden diese Gewinne an die Kommune abgeführt. Schon heute können durch kooperative Baulandmodelle zwischen Kommune und Investor*innen Teile der Planungsgewinne abgeschöpft werden. Die Stadt Ulm vergibt nur Baurecht auf Flächen, die in ihrem Besitz sind, wodurch die Gewinne erst gar nicht privatisiert werden.
- Bodenwertzuwachssteuer: Die Steigerung des Bodenwertes geht nicht auf das Engagement der Eigentümerin zurück, sondern auf die Leistung der Allgemeinheit. Durch öffentliche Infrastruktur, ein kreatives Umfeld oder die Schaffung verkehrsberuhigter Zonen wird eine Lage attraktiver und der Bodenwert steigt. Während die Kosten dafür von der Allgemeinheit getragen werden, werden die Gewinne privatisiert. Eine Bodenwertzuwachssteuer würde die Gewinne aus steigenden Bodenpreisen abschöpfen.
- Preislimitierte Vorkaufsrechte: Unter bestimmten Umständen kann eine Kommune in den Kaufvertrag über eine Immobilien oder ein Grundstück einsteigen. Sie muss allerdings den ursprünglichen Kaufpreis bezahlen. Über eine Preislimitierung, bspw. zum Ertragswert bei sozialer Nutzung, könnte die Preisspirale durchbrochen werden. Auch im landwirtschaftlichen Bereich wären Vorkaufsrechte für lokale Bauern und Bäuerinnen denkbar, um die Konzentration von Flächen in Händen von Investor*innen einzudämmen.
- Bodenpreisdeckel: In Anlehnung an den Mietendeckel in Berlin werden in jüngster Zeit Vorschläge für einen Bodenpreisdeckel diskutiert. Vorstellbar ist, die Preise für Bauland und landwirtschaftlich genutzte Flächen einzufrieren oder auf einen bestimmten Preis festzuschreiben.
Eine Durchsetzung dieser Instrumente setzt eine gesellschaftliche Debatte über die Rolle von Grund und Boden voraus. Bislang war Bodenpolitik trotz der hohen Relevanz ein Thema für Spezialist*innen. Es wäre wünschenswert, wenn jene Akteure, die sich seit Jahren durchaus erfolgreich gegen den »Mietenwahnsinn« einsetzen, ihren Fokus stärker auch auf den »Bodenwahnsinn« legten.
Maximilian Fuhrmann ist Referatsleiter für Wohnungspolitik beim DGB-Bundesvorstand.