Tagelöhner: Armut wird kriminalisiert
11. Februar 2019 | Sebastian Friedrich
Olaf Scholz' Gesetz zum Verbot von Tagelöhnern bekämpft einmal mehr die Mittellosen selbst statt die Ursachen für deren Lage.
Geht es um den Neoliberalismus im Alltag, drehen sich die Themen häufig um Burn-out-Ängste junger Kreativer oder um Selfcare-Methoden der Personal Coaches. Die andere Seite der Medaille ist das Leben derer ganz unten. Für eine wachsende Zahl an Menschen gibt es selbst in den reichen Staaten auf dem regulären Arbeitsmarkt keinen Platz mehr. Sie hangeln sich von Kleinst- zu Kleinstjob, teilen sich mit mehreren ein Zimmer oder müssen auf der Straße schlafen. Der Staat macht ihnen das Leben schwer, indem er ihre Armut kriminalisiert.
Genau darauf läuft jetzt der Entwurf des Bundesfinanzministeriums für ein »Gesetz zur Bekämpfung von Missständen am Arbeitsmarkt, illegaler Beschäftigung sowie von Kindergeld- und Sozialleistungsmissbrauch« hinaus. Er sieht etwa vor, den Tagelöhnermarkt zu verbieten. Menschen dürften dann nicht mehr mit anderen an einem bestimmten Ort ihre Arbeitskraft als Tagelöhner anbieten. Ihnen drohen Platzverweise und Bußgelder von bis zu 5.000 Euro.
Die Straßenecke ist für Tagelöhner oft die letzte Chance. Viele von ihnen sind von Leistungen wie Hartz IV ausgeschlossen. Die meisten sind zwar EU-Bürger, haben aber trotzdem keinen Anspruch, etwa weil sie keinen formellen Arbeitnehmerstatus haben oder ihnen die nötigen Nachweise fehlen.
Offiziell möchte das Finanzministerium mit dem Gesetz die Organisierte Kriminalität bekämpfen. Ein Irrglaube, wie ein Blick in die Studie »Arbeit! Wohnen! Urbane Auseinandersetzungen um EU-Migration« zeigt, die gerade bei Edition Assemblage erschienen ist. Die Anthropologin Lisa Riedner hat jahrelang Tagelöhner in München begleitet. Ihr Ergebnis: Sie organisieren sich an den bekannten Straßenecken selbst, um Infos auszutauschen, informelle Mindestlöhne zu besprechen oder schlicht, um sich vom langen Warten abzulenken. Selbst ein leitender Beamter der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, den Riedner zitiert, interessiert sich nicht für die Tagelöhner. Das große Geschäft ist für die Organisierte Kriminalität nur im größeren Maßstab zu machen, die Tagelöhner sind da Peanuts. Mittlerweile hat der Bundesweite Koordinierungskreis gegen Menschenhandel dem Finanzministerium empfohlen, das Tagelöhner-Verbot zu streichen.
Die Armut scheint für Olaf Scholz’ Haus weniger das Problem zu sein; eher sind es die Armen selbst – letztlich würde das Gesetz die Tagelöhner noch größerem Druck aussetzen beim Versuch, über die Runden zu kommen.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Wochenzeitung ▸Freitag Ausgabe 2/2019. Wir danken für die Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.
Sebastian Friedrich ist Journalist und Publizist aus Hamburg. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Sozialstaatsdiskurse, Neue Rechte, AfD, Kritische Soziale Arbeit, Diskursanalyse sowie Klassenanalyse. Als @formelfriedrich twittert er regelmäßig. Seine Homepage: sebastian-friedrich.net.