Verschärfte soziale Ungleichheit: Zwei Jahre Inflationskrise
27. Dezember 2022 | Kai Eicker-Wolf
Die hohe Inflation verschärft die soziale Ungleichheit. Selbst wenn die Preissteigerungen zeitnah wieder zurückgehen sollten, bliebe das Verteilungsproblem bestehen.
Deutschland weist seit Beginn des Jahres 2021 eine von Monat zu Monat steigende Inflationsrate auf. Bis zum Beginn des Ukrainekriegs wurde von einem temporären Phänomen ausgegangen. Die Belebung der Nachfrage nach dem Wirtschaftseinbruch im Jahr 2020 hatte die Preise steigen lassen, insbesondere jene für Energie. Zudem traten infolge der Corona-Krise Liefer- und Transportengpässe auf. Für das Jahr 2022 wurde allenthalben mit einer in der Tendenz sinkenden Inflationsrate gerechnet. Diese Erwartungen erfüllten sich aber aufgrund des Ukrainekrieges und seiner Folgen nicht, ganz im Gegenteil stieg die Inflationsrate im Jahr 2022 auf den bisherigen Spitzenwert von 10,4 Prozent im Oktober 2022. Im November hat sich dieser Wert auf genau zehn Prozent etwas vermindert. Treten keine weiteren Preisschocks auf, könnte der Höhepunkt der inflationären Entwicklung damit überschritten sein. Allerdings ist auch im kommenden Jahr von einer Inflationsrate auszugehen, die etwa nach der Prognose des Sachverständigenrates bei 7,4 Prozent liegen dürfte.
Inflationsursachen
Grundsätzlich können zwei Arten von Inflation unterschieden werden. Eine Nachfrageinflation tritt in der Regel im Rahmen einer Hochkonjunktur auf – eine starke gesamtwirtschaftliche Nachfrage führt aufgrund von nicht ausreichenden Produktionskapazitäten zu Preissteigerungen. Eine Nachfrageinflation wird auch als Gewinninflation bezeichnet: Der Nachfrageüberhang erlaubt es, den Gewinnaufschlag auf die Kosten zu erhöhen, wodurch die Preise steigen. Von der Nachfrage- ist die Kosteninflation zu unterscheiden. In diesem Fall steigen die Kosten von Produktionsfaktoren wie z.B. Energie, und die Unternehmen erhöhen infolgedessen die Preise, um ihren Gewinnaufschlag zu halten.
Aktuell haben wir es in Deutschland mit einer Kosteninflation zu tun. Dabei dominiert die Preisentwicklung von Energie und Nahrungsmitten das Inflationsgeschehen. Die gestiegenen Energiepreise verteuern indirekt über die Produktions- und Transportkosten alle anderen materiellen und immateriellen Güter – deshalb liegt auch die so genannte Kerninflationsrate, die die Preisentwicklung von Energie und Nahrungsmitteln nicht enthält, gegenwärtig bei fünf Prozent.
Die ungleiche Wirkung der Inflation
Ein besonderes soziales Problem besteht darin, dass die Inflation nicht alle Menschen im gleichen Umfang trifft. In der Tendenz werden Haushalte mit hohen Einkommen geringer belastet als Haushalte mit niedrigen Einkommen, was an der unterschiedlichen Zusammensetzung der haushaltsspezifischen Warenkörbe liegt. Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die regelmäßig vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung publizierten Berechnungen von Inflationsraten für verschiedene Haushaltstypen, diese sind für den November in der nachfolgenden Tabelle enthalten (1) Die Spanne beträgt immerhin 3,5 Prozent: Die höchste Inflationsrate weisen Paare mit zwei Kindern und einem Nettoeinkommen von 2.000-2.600 Euro auf, während die geringste Inflationsrate auf Alleinlebende mit einem Nettoeinkommen von 5.000 Euro und mehr entfällt.
Problematisch ist in diesem Zusammenhang auch, dass Haushalte mit geringen Einkommen über keine oder nur sehr geringe Spielräume verfügen, um ihr Konsumniveau zu heben. Da Haushalte mit geringem Einkommen in der Regel keine Ersparnisse bilden, können sie im Fallen von realen Einkommensverlusten aufgrund der hohen Inflationsraten dies auch nicht durch geringere Ersparnisse kompensieren. Und da sie aus dem laufenden Einkommen nicht sparen, haben sie auch kein Vermögen gebildet, auf dass sie zurückgreifen können.
Enlastungspakete I,II und III
Auf die steigenden Inflationsraten nach Ausbruch des Ukrainekrieges hat die Bundesregierung bis zum Sommer mit drei Entlastungspaketen reagiert. Im Rahmen des zuletzt beschlossenen Entlastungspakets III wurde unter anderem die Einführung des Bürgergeldes und die Ausweitung des Wohngeldanspruchs beschlossen. Ferner erhält der während der Corona-Krise gegründete Wirtschaftsstabilisierungsfonds Kreditermächtigungen in Höhe von 200 Milliarden Euro für die Jahre 2022-2024. Aus diesem Fonds können staatliche Programme zur Abfederung von Preissteigerungen beim Bezug von Gas und Strom (so genannte Gas- und Strompreisbremse) sowie Stützungsmaßnahmen für Unternehmen und marktrelevante Gasimporteure finanziert werden. Gas- und Strompreisbremse werden im März 2023 eingeführt, sie gelten aber rückwirkend ab Januar. Es werden jeweils 80 Prozent des prognostizierten Jahresverbrauchs »gedeckelt« (Gas: 12 Cent pro Kilowattstunde, Strom: 40 Cent pro Kilowattstunde), das heißt durch die öffentliche Hand subventioniert.
Diese Maßnahme kommt aufgrund des höheren Anteils von Haushaltsenergie an ihren Ausgaben besonders Haushalten mit geringerem Einkommen zu gute. Allerdings liegt der Energieverbrauch bei einkommensstarken Haushalten höher als bei Haushalten mit niedrigem Einkommen – deshalb wäre eine absolute Obergrenze für den subventionierten Verbrauch sinnvoll gewesen.
Verschärfung der Ungleichheit
Wie sich die Entlastungspakete auf die Verteilung von Einkommen und Vermögen in Deutschland auswirken werden, bleibt abzuwarten. Trotz der ergriffenen Maßnahmen droht eine Zunahme von Armut. Außerdem droht sich die Lage von Haushalten zu verschärfen, die sich bereits jetzt in Armut befinden. Indizien wie der Ansturm auf die Tafeln sind in jedem Fall als Alarmzeichen zu bewerten.
Dabei muss diese drohende Entwicklung vor dem Hintergrund der vergangenen Jahre gesehen werden. So ist in den vergangenen drei Jahrzehnte ein Anstieg der Einkommensungleichheit festzustellen. Zudem weist Deutschland im internationalen Vergleich eine sehr hohe Ungleichverteilung der Vermögen auf. (2) Ein besonders beunruhigender Trend ist der seit 2006 auszumachende Anstieg der Armutsquote, wobei zuletzt die Corona-Krise für eine deutliche Verschärfung gesorgt hat.(3).
Zwar ist die Wohngeldreform zu begrüßen, da der Kreis der Anspruchsberechtigten durch das sogenannten Wohngeld-Plus-Gesetz von knapp 700.000 Haushalten auf zwei Millionen steigt, weil künftig auch Menschen mit höheren Einkünften Wohngeld erhalten. Zudem wird sich durchschnittliche Wohngeldbezug von aktuell 180 Euro auf 370 Euro fast verdoppeln. Als problematisch zu bewerten ist aber die Bürgergeldreform, und zwar mit Blick auf die Armutsgefährdung die viel zu geringe Erhöhung des Eckregelsatzes. So verweist der Paritätische Wohlfahrtsverband in seiner Bewertung darauf, dass die Steigerung um elf Prozent auf 502 Euro gerade einmal ein Inflationsausgleich sei, der die Menschen längst nicht aus der Armut führe. Nach eigenen Berechnungen des Paritätischen würde ein bedarfsdeckender Regelsatz 725 Euro betragen.
Quellenangaben
(1) Sebastian Dullien/Silke Tober: IMK Inflationsmonitor. Höhepunkt der Inflation im November 2022 überwunden. IMK Policy Brief Nr. 143, Dezember 2022. Vgl. zur Verteilungswirkungen von Inflation auch Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Energiekrise solidarisch bewältigen, neue Realität gestalten, Wiesbaden 2022, S. 107 ff.
(2) Vgl. z.B. Dorothee Spannagel/Aline Zucco: Armut grenzt aus, WSI-Verteilungsbericht 2022, Düsseldorf, WSI REPORT Nr. 79, November 2022 und. Kai Eicker-Wof: Ungleichverteilung in Deutschland: Ein aktueller Überblick (https://www.blickpunkt-wiso.de/post/ungleichverteilung-in-deutschland-ein-aktueller-ueberblick--2388.html).
(3) Der Paritätische Gesamtverband: Zwischen Pandemie und Inflation. Paritätischer Armutsbericht 2022, Berlin 2022.
Kai Eicker-Wolf ist Wirtschaftswissenschaftler und Gewerkschaftssekretär.