Wenn Sparen und Kürzen teuer wird: Bremen plant ÖPP-Projekt
20. September 2018 | Patrick Schreiner
Bremen lässt eine größere Berufsschule in Öffentlich-Privater Partnerschaft (ÖPP) bauen. Es ist ein irgendwie typischer Fall: Die Begründung für diese Privatisierung steht auf tönernen Füßen. Alles wird viel teurer, als es eigentlich sein müsste. Und es rächen sich die finanzpolitischen Fehler der Vergangenheit.
Sparen und Kürzen ist teuer. Das Land Bremen bekommt dies an einem aktuellen Beispiel anschaulich zu spüren. Die dortige Berufsschule für den Großhandel, Außenhandel und Verkehr ist derart marode, dass eine Sanierung sich wirtschaftlich nicht mehr lohnt. Viel zu lange sind notwendige Erhaltungsmaßnahmen unterblieben – denn viel zu lange hat man bei entsprechenden Investitionen gekürzt. Dabei wäre alles deutlich günstiger zu haben gewesen, wenn man rechtzeitig Geld in die Hand genommen hätte: Noch 2007 war der Sanierungsbedarf an der Schule ▸laut Weser-Kurier auf etwa 3,5 Mio. Euro geschätzt worden. Nun wird der Senat über 20 Mio. Euro für einen Neubau auf den Tisch legen müssen (reine Baukosten), wie aus der vorläufigen Wirtschaftlichkeitsuntersuchung zu dem Projekt hervorgeht. Und das sind noch optimistische Schätzungen, die unterstellen, dass Private effizienter bauen als die öffentliche Hand. Gehen diese Schätzungen fehl (dazu gleich mehr), liegen die Baukosten bei mindestens knapp 25 Mio. Euro.
Eine Folge finanzpolitischer Fehlentscheidungen: Öffentlich-Private Partnerschaften
Um solche Investitionen zu stemmen, wird nicht nur wegen knapper Kassen ▸regelmäßig auf ÖPP zurückgegriffen – obwohl diese Form der Beschaffung undemokratisch, intransparent und meist teurer ist als eine Aufgabenerfüllung direkt durch die öffentliche Hand. Die Begründungen für ÖPP sind vielfältig: Mal soll aus Prinzip der Grundsatz »privat vor Staat« gelten, entgegen aller finanzpolitischen Vernunft. Mal gilt es als richtig, dem privaten Kapital ▸Anlagemöglichkeiten zu verschaffen.
Auch der rot-grüne Bremer Senat will im Fall der Berufsschule diese Form der ▸Privatisierung nutzen. Dabei dürften es aber zwei andere Gründe sein, die ihn dazu verleiten: ÖPP ist geeignet, ▸Schulden zu verstecken. Selbst die Schuldenbremse lässt sich unter bestimmten Umständen ▸so umgehen. Dies ist im klammen Bremen ein nicht unwesentlicher Vorteil – der im geplanten Projekt allerdings nur eingeschränkt zum Tragen kommt, da die Zahlungen für die teuren Neubaumaßnahmen schon in den ersten vier Jahren nach Fertigstellung (geplant: 2021) erfolgen sollen. Das stärkste »Argument« für ÖPP ist daher ein anderes: Diese Form der Beschaffung ermöglicht ein (im Idealfall rasches) Bauen, auch wenn der öffentlichen Verwaltung das Personal fehlt, um den Bau selbst in die Hand zu nehmen und zeitnah abschließen zu können. Und genau das scheint in Bremen der Fall (auch wenn in den vorliegenden Unterlagen ein Zeitvorteil durch ÖPP bestritten wird) – nicht zuletzt wegen massiver Kürzungen in den öffentlichen Haushalten, die über viele Jahre hinweg zu einem enormen Personalabbau führten.
Die Gründe für das ÖPP-Projekt in Bremen sind also hausgemacht: Man hat viel zu lange nicht genügend investiert – und damit einen heute enormen Handlungsdruck geschaffen. Nun hat man aber aufgrund eines parallelen langjährigen Personalabbaus gar nicht mehr die Möglichkeit, zeitnah selbst zu bauen. Also greift man auf ÖPP zurück, das wiederum viel teurer wird, als es eigentlich sein müsste, hätte man frühzeitig investiert.
Nachhaltige Finanzpolitik sieht anders aus. Es rächt sich das Sparen und Kürzen. Wobei man allerdings einräumen muss, dass die 2009 beschlossene Schuldenbremse in den letzten Jahren den Kürzungsdruck im Bremer Haushalt ebenso massiv verschärft hat wie wiederholte Steuersenkungen. Für beides ist im Wesentlichen der Bund verantwortlich – aber eben nicht nur. Auch Bremen hat der Schuldenbremse zugestimmt, fordert noch heute nicht deren Abschaffung und hat sie durch Aufnahme in seine Landesverfassung sogar unnötig und übermäßig abgesichert.
Politischer Wille und Kreativität: Die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung
Wie bei öffentlichen Beschaffungsprojekten ab einer gewissen Größenordnung üblich und vorgeschrieben, hat der Bremer Senat eine »vorläufige Wirtschaftlichkeitsuntersuchung« durchführen lassen. Beauftragt wurde damit die ▸»Partnerschaft Deutschland – PD Berater der öffentlichen Hand GmbH«, eine frühere gemeinsame ÖPP-Werbeinstitution von Bundesregierung und ÖPP-Wirtschaft. Heute fungiert sie als Beratungsunternehmen für öffentliche Auftraggeber zur Durchführung von ÖPP (die Privatwirtschaft ist an dem Unternehmen nicht mehr beteiligt). Glaubt man dem Bremer Senat, dann hat »PD« das Gutachten zum Bremer Berufsschulvorhaben »höchst sorgfältig und gemäß den geltenden Regeln« erstellt - so jedenfalls steht es in der dazugehörigen Senatsvorlage vom 13. August.
Doch lohnt ein genauerer Blick in das Dokument. Die von »PD« am 27. Juni vorgelegte vorläufige Wirtschaftlichkeitsuntersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass ein ÖPP-Projekt im vorliegenden Fall um 12,42 Prozent günstiger sei als eine klassische Beschaffung. Vermeintliche ÖPP-Effizienzvorteile machten ÖPP-Mehrkosten an anderer Stelle wieder wett. »PD« schreibt:
Die genannten Wirtschaftlichkeitsvorteile überdecken somit die ebenfalls in der Berechnung des ÖPP-Modells berücksichtigten Mehrkosten in den Bereichen Finanzierung, teilweise Betrieb (Objektmanagement), Beratungsleistungen sowie höhere Kosten für das unterstellte umfangreiche Sicherheitenkonzept.
Es ist keine Überraschung, dass vorläufige Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen zum Ergebnis kommen, ÖPP sei die kostengünstigere Variante. Wenn der politische Wille da ist, finden sich vielmehr stets mehrere Stellschrauben, durch deren Drehen sich das gewünschte Ergebnis erreichen lässt. Es sind im vorliegenden Fall im Wesentlichen zwei Stellschrauben, die (angeblich) zu der genannten Kosteneinsparung führen:
Erstens unterstellt »PD«, dass Private generell effizienter wirtschafteten als die öffentliche Hand. So hat »PD« im Fall der Bremer Berufsschule bei den Kosten für Bauwerk und Außenanlagen in der ÖPP-Variante pauschal 10 Prozent abgezogen – mit dem Verweis auf »Erfahrungen der PD«. Bei den Baunebenkosten scheinen sogar über 43 Prozent abgezogen worden zu sein, obwohl im erklärenden Text nur von 22 Prozent die Rede ist – was auch schon unrealistisch hoch erscheint. (Die »PD« hat auf eine per E-Mail übersendete Bitte, diesen möglichen Widerspruch aufzuklären, nicht reagiert.)
Wie es überhaupt unrealistisch ist, Privaten pauschal ein effizienteres und kostengünstigeres Bauen und Betreiben zu unterstellen. Der Bundesrechnungshof und die Rechnungshöfe der Länder haben zahlreiche ÖPP-Projekte untersucht und 2011 in einer ▸gemeinsamen Untersuchung den entsprechenden vorläufigen Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen in Sachen Effizienzannahmen ein schlechtes Zeugnis ausgestellt:
Häufig fanden sich in den Wirtschaftlichkeitsprognosen pauschale Annahmen, die das konventionelle Bauen und Betreiben mit Mehrkosten belasteten. […] Bei näherer Betrachtung erwiesen sich die Annahmen oft als unbegründet. Belege für die getroffenen Annahmen fehlten regelmäßig. In den Wirtschaftlichkeitsberechnungen führte dies dazu, dass die konventionelle Beschaffungsvariante gegenüber der ÖPP-Variante teilweise deutlich weniger wirtschaftlich ausfiel, als dies bei gleichen Rahmenbedingungen der Fall gewesen wäre.
Zweitens unterstellt »PD« in der vorläufigen Wirtschaftlichkeitsuntersuchung zur Bremer Berufsschule, dass die privaten Partner Risiken übernähmen, was sich kostenmindernd auswirke. Die übertragenen Risiken betrügen 60 Prozent für die Planungsleistungen und 70 Prozent für die Bauleistungen (»basierend auf Erfahrungswerten der PD«). Eine solche Risikoübernahme durch Private bleibt bei ÖPP aber reine Theorie: Wenn der private Partner seine Leistungen nicht adäquat erbringt oder gar in die Insolvenz geht, so wird es für die öffentliche Seite teuer. Sie muss entweder selbst einspringen oder einen anderen Auftragnehmer suchen, muss Zwischenlösungen finden oder mit dem bestehenden Partner nachverhandeln usw. All das kostet Geld. Einschlägige Erfahrungen mit ÖPP-Projekten, etwa mit ▸Toll Collect auf Bundesebene oder mit dem ▸Misburger Bad (Hannover) auf kommunaler Ebene, zeigen dies nachdrücklich. Zwar soll im Bremer Berufsschulprojekt eine Art zusätzlicher Absicherung unter anderem in Form von Bankbürgschaften vorgenommen werden: Wenn der private Auftragnehmer seine Aufgaben nicht oder nur mangelhaft erfüllt, soll eine Bank dafür geradestehen (die im Gegenzug dafür Gebühren erhält). Die dabei zu leistenden Entschädigungssummen sind allerdings eng begrenzt, so dass das eigentliche Problem nicht gelöst wird.
Auch der Bundesrechnungshof und die Rechnungshöfe der Länder sind in ihrer 2011er-Untersuchung zu einem skeptischen Urteil über die Risikoberechnung in vorläufigen Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen gekommen. Auch sie verweisen auf Gestaltungsmöglichkeiten und sprechen sogar von einer »Stellschraube«:
Die Erfahrungen der Rechnungshöfe zeigen, dass beim Wirtschaftlichkeitsvergleich vorrangig die konventionelle Beschaffungsvariante mit hohen Risikokosten belegt wird. Über diese Stellschraube der Risikoübernahme lassen sich die geschätzten Kosten der konventionellen Beschaffungsvariante so zielorientiert festlegen, dass der wirtschaftliche Vorteil augenscheinlich aufseiten des ÖPP-Modells liegt und somit die ÖPP-Variante rechnerische Effizienzgewinne ausweist.
Hinzu kommt ein dritter Aspekt, der in der vorliegenden Wirtschaftlichkeitsuntersuchung Fragen aufwirft. Für die Kreditfinanzierung bei klassischer öffentlicher Beschaffung unterstellt »PD« einen Zinssatz von 2,5 Prozent, bei ÖPP von 3,0 Prozent. Dies überrascht gleich doppelt: Zum einen dürfte die Zinsdifferenz von 0,5 Prozent kaum realistisch sein, da eine ÖPP-Finanzierung für Geldgeber ungleich riskanter ist als eine Kreditvergabe an die öffentliche Hand. Zum anderen erscheint ein Zinssatz von 2,5 Prozent für einen Kredit an das Land Bremen deutlich überzogen. Aktuell liegen die Renditen auf Anleihen des Landes, die bis Mitte der 2020er Jahre laufen, bei weniger als einem Prozent, teilweise sind sie sogar negativ. Beides - die geringe Renditedifferenz und der hohe unterstellte Zinssatz - ist geeignet, ÖPP günstiger erscheinen zu lassen, als es tatsächlich ist. (Auch hierzu hat »PD« eine E-Mail-Anfrage unbeantwortet gelassen.)
Obwohl regelmäßig kritisiert, sind pauschale Effizienz- und Zinsannahmen sowie die Behauptung, Private übernähmen Risiken, in Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen immer wiederkehrende »Argumente« dafür, dass ÖPP sich rechne. Auch im aktuellen Bremer Fall. Genauere Ausführungen zu solchen und weiteren kreativen Kniffen und Stellschrauben, mit denen ÖPP-Projekte »schöngerechnet« werden können, finden sich in dem Buch ▸»Mit Tempo in die Privatisierung« .
Grund zur Skepsis gibt es also genug. Nicht nur die Rechnungshöfe von Bund und Ländern, sondern auch Untersuchungen auf europäischer Ebene und im Ausland weisen immer wieder nach: Entgegen den Behauptungen der Finanzlobby, der Bauwirtschaft und weiter Teile der Politik lohnen sich ÖPP in der Regel finanziell für die öffentlichen Auftraggeber nicht. So kamen beispielsweise auch die deutschen Rechnungshöfe in dem schon zitierten gemeinsamen Bericht zu einem kritischen Gesamtergebnis:
Die Rechnungshöfe stellten fest, dass die Effizienzvorteile der ÖPP-Varianten häufig zu hoch ermittelt oder nicht schlüssig nachgewiesen wurden.
Warum aber werden ÖPP-Projekte durchgeführt, selbst wenn sie sich eigentlich nicht rechnen? Ihre Attraktivität gründet in den Folgen falscher Finanzpolitik: Etwa in einem zu großen Personalabbau, der ein schnelles Bauen durch die öffentliche Hand selbst gar nicht mehr zulässt. Oder in selbst auferlegten Schuldenbegrenzungsregeln, die sich durch ÖPP oft umgehen lassen. Hier scheinen ÖPP Auswege zu bieten – wenngleich teure und undemokratische.
Das Beispiel der Bremer Berufsschule zeigt dies einmal mehr sehr anschaulich.
Kein Einzelfall: Der Investitionsstau in Deutschland
Dass mangelnde Investitionen in Schulbauten nicht nur ein Bremer Problem sind, sondern eine bundesweite Realität, zeigt abschließend die nachfolgende Grafik, die die Entwicklung der Schulbauinvestitionen in Deutschland zeigt:
Und dass das wiederum keineswegs nur ein Problem bei Schulgebäuden ist, wird an dieser Grafik deutlich, die die öffentlichen Nettoinvestitionen in Deutschland nach Gebietskörperschaftsebenen zeigt:
Es ist an der Zeit, das Ruder herumzureißen, die öffentlichen Investitionen auszuweiten und die öffentlichen Haushalte dafür mit ausreichenden finanziellen Mitteln zu versorgen. Auch, um auf diese Weise ÖPP zurückzudrängen.
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Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.