Wer sind die Nutznießer der Dynamik eines flexiblen Arbeitsmarktes?
18. April 2016 | Markus Krüsemann
Die Bertelsmann Stiftung hat eine Studie über die Dynamik und Durchlässigkeit von Arbeitsmärkten in Europa erstellen lassen. Ist diese Durchlässigkeit auch für die Beschäftigten ein Gewinn? Die Analyse für den Bereich der befristeten Beschäftigung verweist eher auf das Gegenteil.
Die Lobbyisten der Bertelsmann Stiftung, einer der einflussreichsten neoliberalen Denkfabriken, werden nicht müde, Politik und Öffentlichkeit auf mehr Effizienz und Wettbewerb einzuschwören. Unter dem Deckmantel, die soziale Marktwirtschaft modernisieren und zukunftsfest machen zu wollen, geht es ihnen dabei um eine umfassende Ökonomisierung aller Politik- und Lebensbereiche.
Zu diesem Umbauprojekt gehören auch die seit Jahren gestellten und (etwa in der Agenda 2010) auch erhörten Forderungen nach tiefgreifenden Arbeitsmarktreformen. Aus Sicht der Bertelsmänner muss der zu starre und verkrustete Arbeitsmarkt ordentlich dereguliert werden, um den so genannten Leistungsträgern freie Bahn zu verschaffen, die sich natürlich in vermarktlichen Wettbewerbsstrukturen viel besser entfalten können. Das werde am Ende besser dem Gemeinwohl dienen, als Steuerungseingriffe des Staates. Neoliberale Ideologie in Reinkultur.
Das neoliberale Ideal vom durchlässigen Arbeitsmarkt
Frei Bahn dem Tüchtigen? Dazu muss der Arbeitsmarkt natürlich eine hohe Durchlässigkeit aufweisen. Die hat er, wenn er von Regulierungen befreit wird und Beschäftigte so zur flexiblen Manövriermasse von Unternehmen werden. Bei Bertelsmann will man ganz offen weg von solchen Regulierungen, spricht aber in Bezug auf die Folgen für die Beschäftigten lieber von Mobilität, durch die die Besten und Klügsten aufsteigen können. An Abwärtsmobilität wird hier wohlweislich nicht gedacht.
Wie schön es doch passt, dass so ein durchlässiger Arbeitsmarkt in der Bertelsmann-Ideologie gut für Beschäftigungschancen und die Arbeitsqualität der Erwerbstätigen ist, oder sein soll. Umso besser, dass er auch noch positive Effekte auf die Anpassungsfähigkeit von Volkswirtschaften hat. Um Letzteres geht es natürlich vorrangig, schließlich will man im globalisierten Wettbewerb die Nase vorn haben, vulgo ordentliche Profite einfahren. In Abwandlung der Trickle-Down Theorie kommt dies am Ende eben auch den Beschäftigten zugute, behaupten zumindest die Verfechter der Liberalisierung.
Doch geht diese Rechnung auf? Und wie steht es aktuell um die Durchlässigkeit des deutschen Arbeitsmarktes und den damit verknüpften Aufstiegschancen? Um Antworten zu bekommen, hat die Bertelsmann Stiftung das (ebenfalls neoliberal ausgerichtete) Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) beauftragt, eine vergleichende Studie über die Durchlässigkeit von Arbeitsmärkten europäischer Länder zu erstellen.
Studie zur Durchlässigkeit europäischer Arbeitsmärkte
Die jahrelange neoliberale Politik hat dem Arbeitsmarkt ihren Stempel aufgedrückt. Seit der weitreichenden Deregulierung des Arbeitsmarktes durch die rot-grüne Agendapolitik müsste sich aus Sicht neoliberaler Ideologen ja bereits einiges zum Besseren gewendet haben. Und siehe da: Der von ihnen immer wieder als zu starr und unflexibel kritisierte deutsche Arbeitsmarkt gehöre mittlerweile zu den dynamischsten in Europa, so das Ergebnis der Studie in den Worten der Stiftung. Die konstatierte stärkere Durchlässigkeit des Arbeitsmarktes wird dabei nicht nur deshalb positiv bewertet, weil sie ein Resultat der seit jeher geforderten Flexibilisierung ist. Sie soll (wie oben erläutert) auch die individuellen Perspektiven von Beschäftigten (und Arbeitslosen) hinsichtlich ihrer beruflichen Mobilität verbessert haben.
Letzteres aber lässt sich dann doch nicht so geschmeidig nachweisen. Dass es im flexibilisierten Arbeitsmarkt um die vermeintlichen Aufstiegschancen der Arbeitnehmer/innen unter dem Strich gar nicht so gut bestellt ist, diesen Vorwurf können die Ergebnisse zur Mobilität von Beschäftigten und ihren Aufstiegschancen in den vier untersuchten Bereichen nicht aus dem Weg schaffen. Vielmehr werden die Nachteile des dynamisierten Arbeitsmarktes für die Erwerbstätigen vor allem an einer Stelle deutlich: bei der Mobilität in Form des Erwerbseinstiegs über eine befristete Beschäftigung und in Form des Übergangs von einer befristeten zu einer unbefristeten Beschäftigung.
Untersuchungsansatz der Studie: individuelle Mobilität
Als Indikator für die Durchlässigkeit des deutschen sowie weiterer europäischer Arbeitsmärkte haben die RWI-Forscher den Aspekt der individuellen Mobilität von Arbeitnehmer/innen herangezogen und zu messen versucht. Deren Mobilität wird anhand von vier Kriterien bestimmt. Neben der „Mobilität zwischen Arbeitsmarktzuständen“ (gemeint ist der Übergang aus Erwerbslosigkeit in Arbeit) und der „Mobilität zwischen Vertragstypen“ (hier: der Übergang von befristeter in unbefristete Arbeit) wurden auch die Indikatoren "Lohnmobilität" sowie "berufliche Mobilität" für die Analyse herangezogen.
Ein für Arbeitnehmer/innen positiv durchlässiger Arbeitsmarkt wäre nach diesem Konzept ein Arbeitsmarkt, der gute Einstiegsmöglichkeiten für Arbeitsuchende wie für Arbeitslose bietet, und den bereits Beschäftigten gute Aufstiegschancen (auch in Form des Stellen- oder gar Berufswechsels und von Verdienststeigerungen) eröffnet.
Wer wollte da widersprechen. Doch schauen wir bei der befristeten Beschäftigung einmal genauer hin. Ist sie ein geeigneter Ansatz, den Übergang in Beschäftigung zu befördern? Gibt es die Übergangsmobilität von befristeter zu unbefristeter Beschäftigung überhaupt in nennenswertem Ausmaß, und kann sie einen positiven Beitrag zur Aufstiegsmobilität leisten?
Befunde zur befristeten Beschäftigung
Nach Aussage der Forscher erleichtert die befristete Beschäftigung den Zugang von Nicht-Erwerbstätigen (Arbeitssuchende, Arbeitslose) in den Arbeitsmarkt. Damit bekräftigen sie erneut die von Seiten der Wirtschaft gern propagierte These der „Brücke in Beschäftigung“, die ja auch bei der Beschönigung der Leiharbeit herhalten muss. Feststellen mussten sie jedoch auch: Erkauft wird die Verbreitung dieser atypischen Beschäftigungsform mit einer insgesamt verringerten Beschäftigungsstabilität. Da befristet eingestellte Beschäftigte im Vergleich zu unbefristet Beschäftigten überdurchschnittlich häufig 1) wieder aus dem Arbeitsmarkt aussteigen oder 2) arbeitslos werden, steigt mit der Zunahme befristeter Jobs eben auch diese negative Dynamik. Auf der Brücke herrscht demnach reger Verkehr in beide Richtungen. Das entspricht eher dem oben entworfenen Bild der flexiblen Manövriermasse als der Bertelsmann-Vision der Aufstiegsmobilität.
Doch wie verhält es sich mit der Übergangsmobilität innerhalb des Arbeitsmarktes? Auch hier sind die Ergebnisse ernüchternd, denn leider ist es auch um die Aufstiegschancen befristet Beschäftigter nicht gut bestellt. Die immer wieder propagierte Sprungbrettfunktion (Befristungen bieten Chancen zu regulären Jobs) muss angesichts der Zahlen erneut bezweifelt werden. Nur 36,3 Prozent aller Arbeitnehmer/innen wechselten in Deutschland von einer befristeten in eine unbefristete Beschäftigung. Somit erhält gerade mal ein gutes Drittel der Beschäftigten den begehrten unbefristeten Arbeitsvertrag. Der große Rest kann der prekären, jeglicher Lebensplanung abträglichen Situation nicht entkommen. De facto dürfte die Übergangsrate noch niedriger liegen, denn in den knapp 37 Prozent sind auch die noch in Ausbildung befindlichen Personen enthalten, die eine vergleichsweise hohe Wahrscheinlichkeit haben, nach ihrer Ausbildung in eine unbefristete Beschäftigung zu wechseln.
Weitere Ergebnisse
Die übrigen Mobilitätsbefunde für Deutschland sind unter dem hier interessierenden Aspekt des Nutzens für die Beschäftigten wenig ergiebig. Dies gilt für das Ergebnis, dass die allgemeine Übergangsrate aus Arbeitslosigkeit in Beschäftigung im Ländervergleich in Deutschland durchschnittlich ausfällt ebenso wie für die Beobachtung einer relativ hohen beruflichen Mobilität und einer im Durchschnitt der Untersuchungländer liegenden Höhe der Lohnmobilität. Wie hoch die Chancen auf Verdienststeigerungen sind und inwiefern ein Stellen- oder Berufswechsel gute Aufstiegschancen eröffnet, das kann die vergleichende Analyse nicht beantworten.
Fazit
Wie man in Bezug auf die hier näher betrachtete Übergangsmobilität unschwer erkennen kann, sind befristete Arbeitsverträge für die Beschäftigten weder attraktiv noch sonderlich aufstiegsfördernd, denn die Durchlässigkeit entpuppt sich viel zu oft als prekäre Instabilität, Abwärtsmobilität inklusive. In den Worten der Studienverfasser lautet das dann so: Eine erhöhte Durchlässigkeit vergrößert nicht nur die Chancen auf individueller Ebene, auch entsprechende Risiken können zunehmen. Für befristet Beschäftigte, so kann man die Aussage fortführen, ist es das Risiko, schließlich doch wieder ohne Job dazustehen.
Am Ende räumen die Forscher in der Gesamtschau der europäischen Arbeitsmärkte ein, dass die Schaffung befristeter Beschäftigung kein geeignetes Instrument ist, um Arbeitsmärkte flexibel zu gestalten. Der Vergleich zeige, dass befristete Beschäftigung nur bedingt die Durchlässigkeit der Arbeitsmärkte unterstützt. Zwar erleichtere sie teilweise den Arbeitsmarktzugang, führe aber auch zu instabilen Beschäftigungsverhältnissen und segmentierten Arbeitsmärkten mit geringen Aufstiegschancen.
Kommt die von RWI und Bertelsmann so erfreut zur Kenntnis genommene Dynamik am Arbeitsmarkt, wie gerne behauptet, den Beschäftigten zugute? Das Beispiel der befristeten Beschäftigung zeigt etwas anderes: Der flexibilisierte Arbeitsmarkt wird von einer Dynamik geprägt, die sich eben nicht zu Gunsten der Beschäftigten, sondern auf ihrem Rücken entfaltet. Die Arbeitnehmer/innen streichen keine Mobilitätsgewinne durch die Arbeitsmarktreformen ein, sondern zahlen die Flexibilitätszeche mit atypischen und prekären, vielfach auch schlecht bezahlten Jobs. Gewinner dynamischer und flexibler Arbeitsmärkte sind ganz andere. Das wissen auch die Bertelsmänner.
Quellen:
Bachmann, R./ Bechara, P. u.a. (2016): Durchlässigkeit europäischer Arbeitsmärkte, Bertelsmann Stiftung (Hg.), Gütersloh.
Bertelsmann Stiftung (Hg.) (2016): Befristete Beschäftigung und Durchlässigkeit europäischer Arbeitsmärkte. Policy Brief, Nr. 2016/01, Gütersloh.
Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Göttinger Institut für Regionalforschung. Unter www.miese-jobs.de betreibt er ein Informationsportal zu atypischen und prekären Beschäftigungsformen.