Werner Rügemer: „Die Rekommunalisierung ist immer mehr gestoppt worden“
6. September 2012 | Patrick Schreiner
Ein Interview mit Werner Rügemer über Privatisierungen und Public-Private Partnerships (PPP) in Kommunen. Werner Rügemer ist freier Publizist und Sachbuchautor. Er befasst sich seit vielen Jahren mit Formen und Folgen der Privatisierung kommunaler und anderer öffentlicher Institutionen.
Frage: Die Privatisierungsdynamik in der kommunalen Daseinsvorsorge scheint abgenommen zu haben, vielerorts nehmen Kommunen frühere Privatisierungen sogar wieder zurück, Stichwort Rekommunalisierung. Wird das auch in den kommenden Jahren so weitergehen?
Werner Rügemer: Nein. Schon durch die Kürzungen und neuen Belastungen der kommunalen Haushalte nach der Bankenrettung ist die Rekommunalisierung immer mehr gestoppt worden. Für die Kürzungen und neuen Belastungen ist nicht nur die Bundesregierung, sondern sind auch die Landesregierungen verantwortlich. Sie haben mit Milliardenbeträgen ihre Landesbanken vor dem Bankrott gerettet, und diese „Rettungsaktionen“ sind keineswegs schon zu Ende. Dafür werden Zuweisungen an die Kommunen gestrichen.
Sicher, die Einsicht ist gewachsen: Privatisierung bringt höhere Gebühren für die Bürger, weniger und schlecht bezahlte Arbeitsplätze und meist schlechteren Service. Aber die finanziellen Mittel fehlen, auch fehlen nun die Kompetenzen und Ressourcen in den „verschlankten“ öffentlichen Verwaltungen. Die immer wieder als vorbildlich genannten Rekommunalisierungen in Nümbrecht (Rückkauf der Stadtwerke), Ahrensburg (Rückkauf des Gasnetzes), Schönau (eigenes Elektrizitätswerk) und Bergkamen (Übernahme der Müllentsorgung) sind alle durch langen Vorlauf und lange vor der Finanzkrise durchgeführt worden. Das Beispiel der Berliner Wasserbetriebe zeigt, dass die Rekommunalisierung nicht vorankommt, selbst wenn die Mehrheit der Bürger das möchte.
Es hat sogar eine neue Welle von Verkäufen eingesetzt, insbesondere bei Krankenhäusern. Der Berliner Senat hat einen neuen Anlauf zum Verkauf von Wohnungen genommen. Die Pflege vieler Friedhöfe wird privaten Unternehmen überantwortet, Wälder werden verkauft. Die Kommunen erteilen immer mehr Aufträge für gebäudenahe Dienstleistungen etwa in Kindergärten und Schulen an private Billiganbieter wie etwa den Dussmann-Konzern.
Frage: Welche finanziellen und politischen Konsequenzen gehen mit Privatisierungen in Kommunen einher?
Werner Rügemer: Bei den Privatisierungen traditioneller Art, also bei (Teil-)Verkäufen von Stadtwerken, Wohnungsgesellschaften und Ähnlichem, gehen den Kommunen erstens Einnahmen aus Gewinnen verloren – und zwar auf Dauer. Die einmaligen Einnahmen aus solchen Verkäufen können keinen Haushalt nachhaltig sanieren. Keine Stadt, die so privatisiert hat, hat heute eine bessere Haushaltssituation. Zweitens übernehmen die Privaten dabei oft die Geschäftsführung, auch wenn sie nur einen Minderheitsanteil von 49 Prozent haben. Drittens verlieren die Städte Steuern, denn die Privaten versteuern ihre Einnahmen an irgendeinem Steuersitz – wenn sie dies überhaupt tun und nicht durch Verlustrechnungen die Steuern umgehen. Viertens bringen die Billigarbeitsplätze überhaupt keine Steuern mehr und verschärfen die Armut in der Region.
Schließlich nimmt die Gestaltungskompetenz der Kommune ab. Das betrifft zum einen das verringerte Personal, dessen Qualifikationen verloren gehen. Zum anderen können die gewählten Volksvertreter immer weniger politische Entscheidungen selbst fällen.
Frage: Wie sieht es mit den Folgen für die abhängig Beschäftigten aus – insbesondere mit Blick auf deren Arbeitsplätze und die Entlohnung?
Werner Rügemer: Die Privaten (Mit-)Eigentümer drängen auf den Abbau von Arbeitsplätzen und vergeben Dienstleistungsaufträge an eigene auswärtige Tochterunternehmen. Zum Beispiel wurden seit dem Jahr 2000 bei den Stadtwerken Solingen 200 der 750 Arbeitsplätze abgebaut, bei den Berliner Wasserbetrieben im selben Zeitraum 2.000 von 7.500. Bei der Vergabe von Dienstleistungen schaffen die Privaten vor allem schlecht bezahlte und unsichere Arbeitsplätze.
Frage: Seit etwa zehn Jahren greifen sogenannte Public Private Partnerships (PPP) immer weiter um sich. Was ist damit gemeint? Welches Ausmaß haben sie heute angenommen?
Werner Rügemer: Bei PPP handelt es sich um eine „modernere“ Form der Privatisierung. Es ist ein „Rundum-Sorglos-Paket“, man könnte es auch ein „All-inclusive-Angebot“ nennen. Dabei beauftragt die öffentliche Hand einen privaten Investor, nicht nur wie bisher ein Schulzentrum, ein Rathaus, einen Straßentunnel, Messehallen, eine Feuerwehrzentrale oder ein Krankenhaus zu bauen oder zu sanieren. Vielmehr geht der Auftrag viel weiter: Der Investor wird auch mit der Planung, dem Controlling, dem langfristigen „Facility Management“ (Management der Gebäudeinfrastruktur, Energie, Wasser, Abwasser, Sicherheit, Reinigung, Grünflächen) und vor allem auch mit der (Vor-) Finanzierung beauftragt. Die Verträge laufen zwischen 15 und 50 Jahren, die Regel sind 30 Jahre. Dafür zahlt die Kommune ein jährliches Entgelt. Für dieses Entgelt überantwortet also die Kommune alle bisherigen Aufgaben langfristig an den Investor. Schätzungsweise gibt es gegenwärtig etwa 150 kommunale PPP-Projekte, vor allem im Schulbereich. Übrigens sind nicht nur Kommunen auf das PPP-Pferd aufgesprungen, sondern auch Landesregierungen (beispielsweise bei Gefängnissen, Justiz- und Finanzzentren sowie Polizeipräsidien) und die Bundesregierung (beispielsweise bei Autobahnabschnitten und Bundeswehrcasinos).
Frage: Wie kommt es, dass Public Private Partnerships oftmals gegenüber kommunalen Lösungen als kostengünstiger erscheinen? Gibt es erfolgreiche Strategien der privaten Partner, tatsächlich kostengünstiger zu sein?
Werner Rügemer: Dass ein PPP-Projekt zunächst kostengünstiger erscheint, liegt an verschiedenen Faktoren. Erstens wird der so genannte Wirtschaftlichkeitsvergleich häufig von privaten Beratern erstellt, die gleichzeitig als PPP-Lobby tätig sind. In diesem Vergleich wird die PPP-Lösung der kommunalen Lösung gegenübergestellt. Immer erscheint die PPP-Lösung günstiger, auch weil die Berater den Kommunen unterstellen, dass sie immer schwerfällig, unmodern, unflexibel und teurer sind. Die Potentiale einer Kommune werden gar nicht genau untersucht.
Zweitens verspricht der Investor, dass die Kommunen Personal abbauen können, weil er ja praktisch alle Aufgaben übernimmt. Das ist aber ein Trugschluss, denn gerade der jahrzehntelange Umgang mit einem ausgebufften Investor erfordert mehr qualifiziertes Personal, damit sich die Kommune gegen die formal hochqualifizierten und oft rücksichtslosen Anwälte und Manager des Investors durchsetzen kann.
Wenn die Projekte einige Jahre laufen, behaupten die Investoren häufig, dass sie mit der vereinbarten Miete nicht auskommen. Sie können dann ziemlich leicht Nachforderungen durchsetzen, weil das in den umfangreichen und komplexen Vertragswerken in irgendeiner Klausel steht, die auf Seiten der Kommunen keiner richtig gelesen oder ernst genommen hat. In vielen Fällen haben die Investoren schon nach wenigen Jahren behauptet, sie kämen mit dem vereinbarten Entgelt nicht aus. Weil ein Wechsel des Investors sehr umständlich und teuer ist, befindet sich die Kommune in einer Erpressungssituation. Die bekanntesten Fälle für horrende Nachforderungen sind der Landkreis Offenbach mit insgesamt 90 Schulen, die Stadt Hamburg mit ihrer Elbphilharmonie sowie die Tunnels in Rostock und Lübeck.
Frage: Lassen sich Privatisierungen und PPPs transparent gestalten? Welche Möglichkeiten haben Kommunalpolitikerinnen und -politiker, tatsächlich Kosten und Vorteile zu bestimmen oder nach Beginn der Projekte noch Einfluss zu nehmen?
Werner Rügemer: Es lässt sich alles transparent gestalten, wenn der politische Wille da ist. Gegenwärtig ist er bei CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen nicht vorhanden, jedenfalls nicht in den Parteiführungen. Und die Verantwortlichen in der öffentlichen Verwaltung sehen sich finanziell in der Defensive – nach dem Motto „Unsere Kassen sind leer“. Dass vor allem die kommunalen Kassen leer sind, behaupten auch die Landesregierungen und die Bundesregierung, weil sie die Möglichkeit ausblenden, dass der Staat sich neue Einnahmen etwa durch eine höhere Besteuerung der Unternehmensgewinne, der Finanztransaktionen, der hohen Vermögen, Erbschaften und Einkommen verschaffen könnte.
Die für PPP-Projekte politisch Verantwortlichen wagen nicht, die Offenlegung der Verträge zu fordern. Bundestag, Landtage, Stadt-, Gemeinde- und Landkreisräte bekommen die Verträge vor der Entscheidung nicht zu sehen. Wenn einzelne Mandatsträger sich durchkämpfen und die Verträge einsehen dürfen, dann müssen sie sich verpflichten, nichts darüber in die öffentliche und parlamentarische Diskussion einzubringen. Die Vertragsverhandlungen liegen von der öffentlichen Seite her bei den Kämmerern, Oberbürgermeistern und den Finanzministern bzw. der Finanzbürokratie. Deshalb ist die Einflussmöglichkeit der Abgeordneten vor und auch nach der Entscheidung so gut wie Null.
Zum Weiterlesen: Werner Rügemer: „Heuschrecken“ im öffentlichen Raum. Public Private Partnerhip – Anatomie eines globalen Finanzinstruments. 2. erweiterte und aktualisierte Auflage, Transcript-Verlag 2011, 204 Seiten, 18,80 Euro. Mit zahlreichen kommunalen Beispielen.
Dieses Interview erschien zuerst in WISO-Info 3 (2011).
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.