Wettbewerbsfähigkeits-Rankings: Der „Wert“ von toten Babys und Formularen bei Betriebsgründung
4. September 2013 | Miriam Rehm
Jedes Jahr - und auch heute - machen Wettbewerbs-Rankings Schlagzeilen und lösen politische Debatten um die Sicherung des Wirtschaftsstandortes aus. Der seriöse Anstrich der Organisationen, die Rankings durchführen, täuscht allzu leicht darüber hinweg, dass sie mehr von Willkür als von wissenschaftlicher Seriosität geprägt sind. Müssen die Rankings doch so disparate Konzepte wie Säuglingssterblichkeit und bürokratische Prozesse auf einen einzigen Nenner bringen.
Absurde Ergebnisse
Eines dieser Rankings wurde heute, wie jedes Jahr Anfang September, vom World Economic Forum (WEF) publiziert. Es enthält viele absurde Resultate. So liegen zum Beispiel Deutschland und Österreich beim Schutz von Investoren hinter Kirgisien, Botswana und Kambodscha (S. 430). Nepotismus und Freunderlwirtschaft treten nach dem Ranking in Deutschland und Österreich häufiger auf als in Ruanda und dem Oman (S. 416). Bei der verschwenderischen Zusammensetzung öffentlicher Ausgaben liegen Deutschland und Österreich hinter Botswana, Gambia und Bhutan (S. 417).
Systematisch fehlerhafte Methodik
Diese offensichtlichen Unsinnigkeiten sind keine Einzelfälle, sondern eine Folge der systematisch fehlerhaften Methodik solcher Rankings. Die Rankings bestehen zu einem Gutteil (beim WEF 60 Prozent) aus Befragungen von ManagerInnen, die mit höchst undurchsichtigen Methoden durchgeführt werden. Zudem werden die ManagerInnen nur zu ihrem eigenen Land befragt. Die Bewertungen des Staatsapparates in Ruanda sind aber nicht direkt mit den Antworten auf die gleiche Frage von österreichischen ManagerInnen vergleichbar. Die erfragten Werte dürften daher nicht für Ländervergleiche verwendet werden.
Diese länderspezifischen Privatmeinungen werden zu „harten“ Daten wie BIP-Wachstum oder Forschungsinvestitionen addiert, um eine einzige Zahl, den Indikator für Wettbewerbsfähigkeit, zu erhalten. Hier sollte eigentlich jede verwendete Maßzahl einen anderen Teilaspekt des Gesamten, der Wettbewerbsfähigkeit, messen. Tatsächlich bestehen die Rankings aber aus einem Sammelsurium von Variablen nach dem Motto „ je mehr, desto besser“. Dadurch kommt es zu Überlappungen und Mehrfachzählungen, die das Ergebnis letztendlich nicht mehr interpretierbar machen.
Eine einzige Zahl für den Rang eines Landes zu berechnen, ist unsinnig. Rankings müssen ein totes Baby auf 1000 Geburten mit einem analphabetischen Erwachsenen und einem zusätzlichen Formular bei der Betriebsgründung auf einen Nenner bringen, und deren „Wert“ feststellen. Es ist kein Wunder, dass die Rankings daran scheitern, ökonomisch betrachtet, die „relativen Preise“ der einzelnen Indikatoren allgemeingültig festzulegen.
Es ist also nicht überraschend, dass diese abstrusen Methoden zu widersinnigen Ergebnissen führen. Die Rankings basieren auf willkürlichen Annahmen, einer intransparenten Auswahl sowie Gewichtung der Maßzahlen, und mangelhafter statistischer Methodologie. Dennoch spielen sie in der politischen Debatte immer wieder eine Rolle. So führen die politischen Wunschlisten von ManagerInnen und statistische Fehlanalysen zu politischen Argumenten gegen das Sozialsystem. Was stattdessen benötigt wird, ist eine sachliche Debatte über die Ziele der Wirtschaftpolitik, eine Abwägung von Zielkonflikten und eine kritische Analyse von empirisch sauber erhobenen Fakten zu den jeweiligen Fragen.
Dieser Text erschien in einer früheren Fassung zuerst im Blog Arbeit&Wirtschaft. Ich danke für die Genehmigung zur Übernahme des Textes. Er ist von der CC-Lizenz gemäß Impressum ausgeschlossen; das Zitieren und das Verlinken des Textes ist erlaubt, nicht aber das Vervielfältigen/Kopieren.
Miriam Rehm ist Referentin für Makroökonomie und Verteilung in der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der Arbeiterkammer Wien sowie Lektorin an der Fachhochschule des BFI Wien.