Wolfgang Clement – ein lupenreiner Unsozialdemokrat
14. März 2016 | Markus Krüsemann
Heute vor dreizehn Jahren kündigte Gerhard Schröder im Bundestag mit der Agenda 2010 das größte Massenverarmungsprogramm in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik an. Als Mit-Architekt und Vollstrecker hatte Wolfgang Clement maßgeblichen Anteil, ein Mann bei dessen politischer Biografie sich mancher wohl immer noch fragt, was er überhaupt in der SPD zu suchen gehabt hatte. Doch Clement und die SPD, das war alles andere als ein Missverständnis, wie ein Rückblick auf seine Karriere zeigt.
Es soll Leute geben, die von sich sagen, sie seien in die falsche Wiege gelegt worden. Ein anderes Leben hätten sie eigentlich, quasi ihrer Bestimmung gemäß, führen müssen. So etwas kennt man aus Märchen, wenn am Ende der Weg ins richtige Leben glückt. Auch der politische Weg des Wolfgang Clement scheint nach diesem Muster verlaufen zu sein: Jahrzehnte war er für die Partei der Arbeit tätig, obwohl er dort nicht hingehörte. Erst spät findet er daher seine wahre politische Heimat in den Lobbyorganisationen und Aufsichtsräten der Unternehmen.
Aber die Geschichte vom wackeren Sozi, der mit der Partei fremdelt, um dann seine Bestimmung schließlich auf der anderen Seite, bei den Klassenantagonisten vom Kapital zu finden, auch das ist ein Märchen. Clement war immer am für ihn richtigen Ort, auch wird er nicht erst im Alter zum marktradikalen Deregulierer, sondern beschritt schon früh als Sozialdemokrat neoliberale Pfade – mit mehr als nur wohlwollender Billigung seiner Mitgenossinnen und -genossen. Erst später dann führt ihn sein Weg dahin, wo er wohl immer schon hin gewollt hatte: in die Etagen der wirklich Herrschenden, den Wirtschaftsbossen und Aufsichtsräten.
Jurist – Chefredakteur – Politiker
Wolfgang Clement wurde 1940 in Bochum als Sohn eines Maurers geboren, der es zum Bauingenieur und schließlich zum Baumeister brachte. Gut möglich, dass die Biographie des Vaters ihn schon früh auf die Idee brachte, man könne, ja müsse seines eigenen Glückes Schmied sein. Später, als SPD-Grande, wird er das Eigenverantwortung nennen, ein Wort, das bei der ideologischen Durchsetzung der Agenda 2010 eine zentrale Rolle spielte.
Clement wuchs in eher ärmlichen Verhältnissen in der Arbeiterstadt Bochum auf, machte dort 1960 Abitur, und studierte dann bis 1965 Jura in Münster. Zugleich machte er ein Volontariat als Journalist bei der "Westfälischen Rundschau" in Dortmund.
Nach seinem Studium war er u.a. wissenschaftlicher Assistent an der Universität Marburg, entschied sich aber für eine journalistische Laufbahn und ging 1968 als politischer Redakteur zur Westfälischen Rundschau, deren stellvertretender Chefredakteur er von 1973 bis 1981 war. Später, von 1987 bis 1989, brachte er es noch zum Chefredakteur der Hamburger Morgenpost.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Clement schon erste Schritte seiner politischen Karriere hinter sich. 1970 war er der SPD in Bochum beigetreten, doch sein rasanter politischer Aufstieg in der SPD begann erst 1981, als er Sprecher des SPD-Bundesvorstandes in Bonn wurde. Nach einer Reihe von Niederlagen der SPD bei Landtagswahlen trat er im November 1986 von seinem Posten zurück. Doch schon 1989 holte ihn der damalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau als Berater zurück und machte ihn zum Leiter der Staatskanzlei.
Danach ging es zügig bergauf. 1995 wurde Clement in der neuen rot-grünen Regierungskoalition unter Rau Minister für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr. Als Rau 1998 nicht ganz freiwillig zurücktrat, wurde aus seinem Kronprinzen jener Landeschef, der auch zwei Jahre später wieder als Ministerpräsident einer erneut rot-grünen Koalition vorstand.
NRW-Ministerpräsident
„Ich bin eigentlich ein Sozialliberaler, und so habe ich mich auch immer empfunden“, sagt Clement 2010 von sich, und macht rückblickend keinen Hehl daraus, dass er in NRW lieber mit der FDP als mit den Grünen regiert hätte. Die grünen Koalitionspartner bekamen dies vor allem in der Energie- und Verkehrspolitik zu spüren, was ja angesichts der über Jahrzehnte gewachsenen Verflechtung zwischen SPD und Kohlewirtschaft keinesfalls überraschend war. Clement jedenfalls, der bis 1992 schon mal Aufsichtsratmitglied bei der RWE-Tochtergesellschaft Rheinbraun war, setzte diese Tradition mit Freuden fort und machte durch eine Fortsetzung der Steinkohlesubventionen, dem Beharren auf dem Braunkohletagebau (Garzweiler II) und der Förderung großindustrieller Projekte als echter Industriefreund auf sich aufmerksam, als einer, der die Interessen der Energiewirtschaft und des RWE-Konzerns verlässlich bedient. Vermutlich handelte er hier ebenso aus Überzeugung wie aus dem Wissen, sich so die besten Karriereoptionen erhalten bzw. eröffnen zu können.
Nicht mal sozialliberal, geschweige denn sozialdemokratisch, sondern stramm wirtschaftsliberal waren auch andere Regierungsvorhaben Clements. Er forderte mehr Wirtschaftsfreiheit, setzte sich für Privatisierungen (etwa der Flughäfen) ein, und fand auch nichts dabei, als Sozi niedrigere Einstiegslöhne bei der Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen gutzuheißen. Sein Regierungsdrehbuch wäre seitenweise auch von Arbeitgeberseite kaum anders geschrieben worden.
INSM-Kurator
Denen war er auch abseits seiner staatlichen Mandate und Ämter immerhin so zugetan, dass er von 2000 bis 2002 Kurator der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) war. Die INSM wurde im Oktober 2000 vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall gegründet. Mit einem Jahresetat von 10 Mio. Euro ausgestattet sollte die Lobbyorganisation mit inszenierten Kampagnen und breit gefächerter medialer Präsenz für ein wirtschaftsfreundliches Klima sorgen, Marktgläubigkeit und Staatsskepsis in den Köpfen der Menschen verankern und so deren Bereitschaft für wirtschaftsliberale Reformen und Deregulierungen steigern (vgl. Speth 2004).
Genau mein Ansatz, muss Clement gedacht haben, als er sich flugs als Kurator zur Verfügung stellte. Und das ist keine kleine Sache: Von Anfang an waren Kuratoren und Botschafter/innen ein „wesentlicher Pfeiler“ der INSM. Sie sorgen durch ihre Tätigkeit für „eine permanente Präsenz der Initiative“ (Speth 2004:3) und können durch ihr Auftreten in der Öffentlichkeit Meinungen platzieren und beeinflussen, wobei oft unerkannt bleibt, dass ihre Äußerungen vorher mit der INSM koordiniert wurden.
Superminister
2002 gelingt der Sprung in die Bundespolitik. Nach erneut gewonnener Bundestagswahl, holte Bundeskanzler Gerhard Schröder den Wirtschaftsfreund Clement ins rot-grüne Kabinett. Clement hatte zwar nur eine sehr magerer Regierungsbilanz vorzuweisen, doch schien er die ideale Verkörperung des neuen Typs "Sozialdemokrat" zu sein; nicht so ein ewig gestriger Klassenkämpfer, sondern ein moderner Macher, als Pragmatiker auf Augenhöhe mit den Wirtschaftsführern, mehr Co-Manager als Parteibuch-Ideologe. So hat sich Schröder wohl gerne selbst gesehen – und für sein Alter Ego schuf er durch Zusammenlegung von Arbeits- und Wirtschaftsministerium die richtige Aufgabe, der Superminister war geboren.
Schnell wurde klar, dass mit der Einbindung der Arbeitsmarktpolitik in wirtschaftspolitische Zielsetzungen deren Unterordnung unter die ökonomische Angebotsideologie gemeint war. Folgerichtig zielten die Arbeitsmarktreformen auf eine Verbilligung der Arbeit, auf Lohnsenkungen und die Absenkung der Lohnnebenkosten ab: Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe auf Sozialhilfeniveau, Leistungsabbau bei der Arbeitslosenversicherung, Schaffung eines riesigen Niedriglohnsektors, Zwang und Sanktionen für Arbeitslose usw. Diese Hartz-Reformen waren, um es mit den Worten Christoph Butterwegges zu sagen, ein umfassendes Regierungsprogramm zur Pauperisierung, Prekarisierung und sozialen Polarisierung.
Clement gehörte neben dem damaligen Chef des Kanzleramts, Steinmeier, zu den Architekten der neoliberalen Reformen, und er war deren Vollstrecker: „Der Jurist Clement war der Superminister, der die Arbeitsmarktreformen umsetzte, der die Mehrheiten bei SPD und Grünen für "Hartz I" bis Hartz IV" organisierte“, schrieb das Handelsblatt rückblickend.
Als die versprochenen Erfolge ausbleiben und sich immer deutlicher abzeichnet, dass eine massive Deregulierung des Arbeitsmarktes im Verein mit der radikalen Beschneidung des Sozialstaats das falsche Rezept gegen Arbeitslosigkeit ist, wird Clement ungehalten. Er versteift sich zunehmend aggressiver auf den einmal eingeschlagenen Holzweg. Und siehe da: Der angebliche Pragmatiker Clement zeigt sich plötzlich ganz offen als neoliberaler Ideologe. Er zieht die populistische Karte und inszeniert eine Missbrauchsdiskussion, um die Verantwortung für das Reformversagen den Arbeitslosen in die Schuhe zu schieben.
Zu diesem Zweck lässt er im Sommer 2005 einen Arbeitsmarktreport namens "Vorrang für die Anständigen - gegen Missbrauch, 'Abzocke' und Selbstbedienung im Sozialstaat" veröffentlichen (BMWA 2005). Das Machwerk aus dem Sozialministerium versammelt übelste Anwürfe gegen die Bezieher von Hartz IV-Leistungen. Ihnen wird Trittbrettfahrerei, „Bereitschaft zur Abzocke“, „Sozialbetrug“ und der Missbrauch von Sozialleistungen vorgeworfen. Erwerbslose werden in die Nähe von Schmarotzern und „Parasiten“ gerückt.
Damit nicht genug, legt Clement medial ordentlich nach. In einer ARD-Talkshow mit dem bezeichnenden Titel „Melkkuh Sozialstaat“ spricht er von einer Missbrauchsquote von zehn, gegenüber der Zeitung Die Welt gar von zwanzig Prozent. Das konnte zwar durch eine wissenschaftliche Expertise des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes schnell widerlegt werden (vgl. Martens 2005), aber die Botschaft war verkündet: Die auf erweiterter Stufe fortgesetzte Diskreditierung des Sozialstaats verfing in den Medien und dadurch auch im Bewusstsein weiter Teile der Bevölkerung.
Seitenwechsler
Die überraschend vorgezogene Bundestagswahl im September 2005 mündete in die Große Koalition unter Führung der CDU. Damit endet Clements politische Karriere. Am 22. November 2005, nach der Wahl Angela Merkels zur Bundeskanzlerin, scheidet er aus dem Amt und aus dem Bundestag aus. Auch ist er nicht länger Mitglied im SPD-Bundesvorstand. Es ist Zeit für den wohl längst als Plan B bereit liegenden Seitenwechsel. Dank seiner guten Kontakte empfiehlt Clement sich erfolgreich der Wirtschaft an, und so erhält er quasi als Dankeschön für seine jahrelange Interessen- und Klientelpolitik, erst als NRW-Ministerpräsident, dann als Bundeswirtschaftsminister, mehrere lukrative Aufsichtsratsposten.
Gleich im Dezember 2005 wird er Aufsichtsratsmitglied im Dienstleistungskonzern Dussmann AG. Im Februar 2006 wird er in den Aufsichtsrat der RWE-Kraftwerkstochter RWE Power gewählt. Das Vertrauen von RWE dürfte er sich dadurch erworben haben, dass er sich schon als NRW-Minister für die Braunkohle stark gemacht, und dass er als Bundeswirtschaftsminister gegen den Willen des damaligen Umweltministers Jürgen Trittin das Gesetz zum Emissionshandel für RWE und die anderen Energieriesen günstig ausgestaltet hatte. Wenige Monate später wird er Chef des frisch gegründeten Adecco Institute zur Erforschung der Arbeit, einer vom weltweit agierenden Leiharbeitskonzern Adecco finanzierten Denkfabrik. Sein erfolgreiches ministeriales Hinwirken auf eine Deregulierung der Leiharbeit wird ihn wohl ausreichend für den Posten qualifiziert haben.
In den Folgejahren sammelt Clement weitere Aufsichtsratsposten – beim Zeitungsverlag DuMont Schauberg (2006-2009), beim Telekommunikationsunternehmen Versatel, beim russischen Beratungsunternehmen Energy Consulting, bei der Investmentgesellschaft Berger Lahnstein Middelhoff & Partners LLP und bei der Wohnungsgesellschaft Deutsche Wohnen. Hinzu kommen weitere Posten in unterschiedlichen (Beratungs-) Unternehmen.
Während dieser Zeit muss er mit wachsendem Missfallen beobachten, dass „seine“ Partei den neoliberalen „Reform“-Kurs der Agenda 2010 in der Großen Koalition nicht mehr so konsequent durchzieht wie er das gerne hätte. Angesichts seiner formalen Machtlosigkeit im Parteiapparat und ohne Mandat versucht er durch mediale Auftritte den Genossen sein merkwürdiges Verständnis von sozialdemokratischer Politik einzubläuen. In Interviews lässt er die SPD wissen, wie sie in den unterschiedlichen Politikfeldern in seinem Sinne politisch handeln soll: Privatisierungen in der Gesundheits-, Renten- und Pflegeversicherung, keine Eingriffe bei der Leiharbeit und schon gar keinen gesetzlichen Mindestlohn. Im Dezember 2007 droht er via Süddeutsche Zeitung schon mal mit seinem Parteiaustritt, sollte sich die SPD weiter nach links orientieren.
Doch damit nicht genug der Einmischungen. Im Januar 2008, eine Woche vor der hessischen Landtagswahl, warnt er in einem Gastbeitrag für die Welt am Sonntag vor der Wahl der SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti. Die hatte sich in Interviews energiepolitisch sowohl gegen Atomkraftwerke als auch gegen neue Kohlekraftwerke ausgesprochen. Als Aufsichtsratsmitglied bei der RWE Power AG grätscht Clement für seinen Arbeitgeber RWE (Betreiber der von Abschaltung bedrohten Kernkraftwerke Biblis A und B) dazwischen.
Es sollte sein letztes Foul sein, obwohl ihm auch diesmal die SPD nicht die Rote Karte zeigt. Zwar wird auf Betreiben der Basis ein Verfahren zum Parteiausschluss eingeleitet. Den jedoch weiß die Bundesschiedskommission der SPD dadurch abzuwenden, dass sie es bei einer Rüge belässt. Trotz seines fortlaufend parteischädigenden Verhaltens erhält Clement somit weiterhin Rückendeckung, was nichts anderes bedeutet, als dass die Bundes-SPD mehrheitlich unbeirrt zu Clement und damit auch zu den Positionen, die er verkörpert, steht. Doch selbst eine Rüge kann Clement nicht ertragen. Gekränkt und beleidigt tritt er am 25. November 2008 aus der SPD aus und düpiert seine Partei so ein weiteres Mal.
Offene Fragen
Zwei Fragen bleiben am Ende offen: Erstens, was hat der Mann überhaupt in der SPD gewollt?
In einem Interview mit der Berliner Zeitung im Jahr 2003 antwortet Clement auf die Frage, warum er Sozialdemokrat geworden sei, er habe „eine tiefe Abneigung gegen Ungerechtigkeit“. Das klingt edelmütig, doch dürften seine Beweggründe erheblich schlichter gewesen sein: Wer in den 1970er Jahren im Ruhrgebiet bzw. in NRW politische Karriere machen wollte, für den kam eigentlich nur die SPD in Frage. Und Karriere machen, das wollte der ehrgeizige Clement ganz sicher - in der SPD und darüber hinaus. So wirft schließlich auch Clements schillernde politische Biographie erneut die banale Erkenntnis ab, dass eine Politikerkarriere das Sprungbrett ist, um, die politischen Beziehungen als Mitgift, eine lukrative Karriere in der Wirtschaft zu machen - ganz sicher nicht aus tiefer Abneigung gegen Ungerechtigkeit.
Die zweite Frage ist, was hat die SPD bloß von Leuten wie Clement gewollt? Mit der Antwort könnte man wahrscheinlich ein ganzes Kompendium historischer Analysen zusammenstellen. Es reicht aber auch, noch einmal das Schröder-Blair-Papier von 1999 zur Hand zu nehmen. Der dort verheißene „Dritte Weg“ in eine sozialdemokratische Zukunft ist der Weg hin zu einer umfassenden Ökonomisierung, in der die Politik die Steuerungsfunktion von Märkten nur ergänzt und verbessert, in der der Staat sich zurückzieht, in der die Bürger dem Markt und sich selbst überantwortet werden. Moderne Sozialdemokraten, so die neoliberale Blaupause, sind jene, die der Liberalisierung und Flexibilisierung Vorrang einräumen. Da hatten wohl etliche Genossen so ihre Zweifel. Umso mehr waren der Partei schneidig auftretende "Modernisierer" wie Clement willkommen.
Für die SPD war es ein Weg in den Abgrund. Bis heute bleibt die ehemalige Arbeiterpartei in neoliberalen Denkmustern verhaftet, als müsse sie sich in einer Art babylonischer Gefangenschaft üben. Auf Bundesebene ist sie jetzt eine 25 Prozent-Partei. In den Landesparlamenten sieht es teilweise noch schlechter aus, und die Wahlergebnisse der gestrigen drei Landtagswahlen zeigen, dass mittlerweile auch allertiefste zweistellige Ergebnisse möglich sind.
Und Clement?
Der ist unbeirrt als Wirtschaftslobyist und neoliberaler Ideologe unterwegs. Schon 2006, kurz nach seinem Ausscheiden aus dem Bundeskabinett, war er dem "Konvent für Deutschland" beigetreten. Der 2003 vom ehemaligen BDI-Chef Hans-Olaf Henkel und dem Unternehmensberater Roland Berger gegründete Verein stellt sich als Reforminitiative dar, die Deutschland dynamischer und wettbewerbsfähiger machen will. Mit anderen Worten geht es ihr darum, die Ideologie des Sozialabbaus und der Durchsetzung marktradikaler Positionen der Bevölkerung schmackhaft zu machen und sie als vernünftig und alternativlos erscheinen zu lassen.
Zwei Jahre später steigen er und Manfred Pohl aus und gründen im Februar 2008 den Frankfurter Zukunftsrat. Der Ansatz ist der gleiche: Ein weiteres unternehmensnahes, sich als elitär verstehendes Expertengremium soll Deutschland auf Reformkurs bringen.
2012 übernimmt Clement als Nachfolger des Ex-Bundesbankchefs Hans Tietmeyer den Posten als Kuratoriumsvorsitzender der vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall finanzierten „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM). Wie die IG Metall treffend schreibt, fügt sich die neue Funktion als Vorsitzender einer neoliberalen Lobbyorganisation „nahtlos in seine politische und nachpolitische Biografie“ ein. Clement dreht die alte Reformleier: In der maßgeblich von ihm erarbeiteten Kampagne mit dem Namen „Chance 2020“ wird im Prinzip die neoliberale Agenda 2010 fortgeschrieben: Rückbau des Sozialstaats durch weitere Kürzungen von Sozialleistungen, Privatisierungen in den Sozialversicherungssystemen, Deregulierungen am Arbeitsmarkt, mehr Marktanreize, Steuererleichterungen usw. Alter marktradikaler Wein in neuen Schläuchen.
In letzter Zeit ist es in der großen Öffentlichkeit etwas ruhiger um Clement geworden. Aber der mittlerweile 75-Jährige mischt sich weiter ein. Er betreibt wieder Wahlkampfhilfe für die FDP, hält als "Mann der klaren Worte" Vorträge und meldet sich verlässlich mit den gewohnten Mantras und Poltereien in den Medien zu Wort. Zuletzt etwa hat er die Debatte um die Flüchtlinge genutzt, um gegen die geplante Re-Regulierung der Leiharbeit Stimmung zu machen und um den Regierenden mal wieder zu erklären, welche Politik sie zu machen haben. So kennt man ihn.
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Zum Weiterlesen:
BMWA – Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (2005): Vorrang für die Anständigen – Gegen Missbrauch, „Abzocke“ und Selbstbedienung im Sozialstaat. Ein Report vom Arbeitsmarkt im Sommer 2005, Berlin.
Gerhard Schröder und Tony Blair: Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten, London, 8. Juni 1999 (Glasnost Archiv).
INSM - Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (Hg.) (2013): Chance 2020: Mit Sozialer Marktwirtschaft für ein gerechtes und leistungsfähiges Deutschland, Berlin.
Martens, R. (2005): Vermuteter Sozialmissbrauch und gefühlte Kostenexplosion beim Arbeitslosengeld II. In: Soziale Sicherheit, 54. Jg., Nr. 11, S. 357-362.
Speth, R. (2004): Die politischen Strategien der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Studie für die Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf.
Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Göttinger Institut für Regionalforschung. Unter www.miese-jobs.de betreibt er ein Informationsportal zu atypischen und prekären Beschäftigungsformen.