Zeitverträge: Folgt den Boomjahren ein Nachlassen des Befristungswahns?
17. August 2015 | Markus Krüsemann
In der vorletzten Woche hatte Süddeutsche.de gute Nachrichten für alle prekär Beschäftigten: laut Zahlen des Statistischen Bundesamtes soll der Anteil der befristeten Stellen in den letzten Jahren zurückgegangen sein. Tatsächlich gibt es erste Anzeichen für ein Nachlassen des Befristungswahns. Die angeführte Statistik aber ist irreführend und wird der Problematik nicht gerecht.
Befristete Beschäftigung hat seit Mitte der 1990er Jahre und besonders seit dem Jahr 2004 einen regelrechten Boom erlebt. Nach Hochrechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) auf Basis des IAB-Betriebspanels 2013 ist die Zahl der befristeten Arbeitsverträge zwischen den Jahren 1996 und 2012 von etwa 1,3 auf über 2,7 Millionen gestiegen. Von 2003 bis 2012 stieg der Anteil befristet Beschäftigter an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 6,2 auf 9,5 Prozent. Gemessen an der betrieblichen Gesamtbeschäftigung stieg ihr Anteil von 5,0 auf 7,6 Prozent.
Seitdem aber soll sich alles zum Besseren gewendet haben. Nach den kürzlich vom Statistischen Bundesamt vorgelegten Zahlen geht der Anteil der befristet Beschäftigten an allen 25 Jahre und älteren abhängig Beschäftigten bereits seit 2011 zurück. Gemäß den der Nachricht zugrunde liegenden Berechnungen aus der Arbeitskräfteerhebung sank die Befristungsquote von 8,9 Prozent im Jahr 2011 kontinuierlich auf 8,1 Prozent in 2014.
Abb. 1: Anteil der abhängig Beschäftigten ab 25 Jahre mit befristetem Arbeitsvertrag (in Prozent). Quelle: Arbeitskräfteerhebung des Statist. Bundesamts
Was hier nach einer merklichen Entspannung aussieht, bildet die Realität aber nur teilweise ab. Insofern sind die Zahlen eher irreführend, denn sie blenden ein gravierendes Problem am Arbeitmarkt aus: die BerufseinsteigerInnen.
Zahlen des Bundesamtes erfassen das Problem nur unzureichend
Die Aufstellung des Statistischen Bundesamtes hat den nicht unerheblichen Nachteil, dass sie nur abhängig Beschäftigte ab einem Alter von 25 Jahren erfasst. Gerade in der Altersgruppe der 18 bis 24-Jährigen aber sind Zeitverträge auch jenseits der generell befristeten Ausbildungsverträge besonders stark verbreitet. Und: Je jünger die Arbeitnehmer, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Vertrag zunächst nur befristet ist.
Das Bundesamt begründet diese Einschränkung nicht, sondern verweist nur darauf, dass jüngere Arbeitnehmer sehr häufig befristet Verträge hätten, weil sie sich in Ausbildung oder im Übergang vom Bildungs- zum Beschäftigungssystem befänden. Das ganze Ausmaß befristeter Beschäftigung auch unter Absehung der Auszubildenden kann so natürlich nicht wiedergegeben werden.
Es gibt jedoch weit bessere und aussagekräftigere Quellen, nach denen von einer echten Trendwende zwar noch nicht gesprochen werden kann. Gleichwohl gibt es erste Anzeichen, dass der Befristungswahn in den letzten Jahren etwas nachgelassen hat.
So ist einer Antwort der Bundesregierung vom April 2014 auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion zu entnehmen, dass die Zahl der Beschäftigten mit Zeitvertrag bis 2012 auf einen Höchstwert von 2,74 Millionen gestiegen ist, um im Jahr 2013 leicht zurückzugehen auf gut 2,73 Millionen. Nach den aus dem IAB-Betriebspanel 2013 stammenden Daten ist auch der Anteil der Befristungen an der betrieblichen Gesamtbeschäftigung 2013 leicht gesunken, und zwar von 7,6 auf 7,5 Prozent. Hier sind allerdings u.a. auch die Gruppen der Beamten und der befristet beschäftigten Auszubildenden mit einbezogen worden.
Konzentriert man sich nur auf die Entwicklung bei den Kernerwerbstätigen (abhängig Beschäftigte, die sich nicht in Bildung oder Ausbildung oder einem Wehr-/Zivil- bzw. Freiwilligendienst befinden), so geht der Anteil der befristet Beschäftigten tatsächlich seit 2011 in allen Altersgruppen zurück.
Abb. 2: Anteil der Kernerwerbstätigen (15-64 Jahre) mit befristetem Arbeitsvertrag
(in Prozent). Quelle: Statist. Bundesamt: Mikrozensus
Der Anteil der befristet Beschäftigten an allen Kernerwerbstätigen sank dabei von 9,1 Prozent im Jahr 2011 auf 8,0 Prozent in 2013. Bei den 15- bis 24-jährigen Beschäftigten sank der Anteil der Zeitverträge im gleichen Zeitraum von 29 auf 23 Prozent.
Zeitverträge sind bei den jüngeren Beschäftigten besonders weit verbreitet
Die Grafik macht aber auch deutlich, wie sehr gerade die jüngeren ArbeitnehmerInnen von befristeter Beschäftigung betroffen waren und sind. Jahrelang musste sich weit über ein Viertel von ihnen mit einer Arbeit auf Zeit begnügen. Zuletzt (2013) waren immer noch 402.000 der 1,74 Millionen 15- bis 24-jährigen Beschäftigten ohne Festanstellung.
Ein abschließender Blick auf das Einstellungsverhalten der Arbeitgeber zeigt, dass sich das Problem der Befristungen noch lange nicht von selbst oder wegen guter Konjunktur erledigen wird. Nach Daten aus der IAB-Stellenerhebung sank der Anteil der befristeten an allen Neueinstellungen in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen 2013 zwar auf 52,8 Prozent. 2014 stieg der Anteil jedoch wieder an auf 53,4 Prozent. Wohlgemerkt: Verträge für Auszubildende sind hier nicht mit einbezogen.
Abb. 3: Anteil befristeter Neueinstellungen an allen Neueinstellungen (in Prozent). Quelle:Â IAB-Stellenerhebung
Positive Tendenz, aber keine Entwarnung
Für Beschäftigte sind Arbeitsverträge auf Zeit mit großen Nachteilen verbunden. Fehlende Planungssicherheit und unsichere Zukunftsperspektiven umschreiben ihre prekäre Erwerbslage. Wie prekär sie ist, das zeigt sich übrigens selbst an den eingeschränkten Zahlen des Bundesamtes. So besaßen 2014 satte 58 Prozent der befristet Beschäftigten ab 25 Jahre einen Arbeitsvertrag mit einer Laufzeit von weniger als einem Jahr. Bei 20 Prozent betrug die Befristung ein bis unter zwei Jahre, bei weiteren 22 Prozent zwei bis unter drei Jahre. Nur elf Prozent besaßen einen Zeitvertrag mit einer Laufzeit von mehr als drei Jahren.
Angesichts solcher Zustände muss sich – vor allem bei den jüngeren Erwerbstätigen – noch sehr vieles zum Besseren wenden. Dabei ist auch die Politik gefragt. Eine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung zum Beispiel ist längst überfällig. Solange hier nichts geschieht, ist es für Optimismus noch zu früh.
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Quellen:
Süddeutsche.de vom 05.08.2015
Statistisches Bundesamt: Indikatoren – Befristet Beschäftigte.
Befristung von Arbeitsverträgen. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Sabine Zimmermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. BT-Drucksache 18/1029 (04.2014).
Einstieg in den Arbeitsmarkt für junge Beschäftigte. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. BT-Drucksache 18/5608 (07.2015).
Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Göttinger Institut für Regionalforschung. Unter www.miese-jobs.de betreibt er ein Informationsportal zu atypischen und prekären Beschäftigungsformen.